Dossier

Frankreichs flinker Dinosaurier Jacques Chirac

Bereits zu Zeiten Breschnjews hatte er hohe Ämter inne – nun steht sein politisches Schicksal erneut auf dem Spiel. Mit einem aufwendig inszenierten TV-Auftritt muss Präsident Chirac heute die Stimmung in Frankreich wenden: zugunsten der unpopulären EU Verfassung.

VON LARISSA VASSILIAN

Gar von „Chirac Academy“ ist dieser Tage in Frankreich despektierlich die Rede, wenn Chiracs Fernsehauftritt heute Abend gemeint ist. Geschlossen wie nie fiebert das politische Establishment dem Groß-Event entgegen: Denn die Lage ist ernst. In zehn aufeinander folgenden Umfragen lag das Nein-Lager zur EU Verfassung vorne, zuletzt mit ganzen 53,5%. Mitten in der publikumsträchtigen Prime Time steigt daher der französische Präsident höchstpersönlich in den Ring: Und beantwortet die Frage ihm wohl gesonnener Schüler. Denn als Meister seines Fachs weiß Chirac genau, wie er es vermeiden kann, sich unnötige Blößen zu geben.

Gerissener Taktiker

Jacques Chirac ist schwer zu fassen. "Eines muss man Jacques Chirac lassen", schreibt Eric Zemmour, sein jüngster Biograf: "Er hat wirklich keine Überzeugungen. Er glaubt an nichts. Er glaubt nur an sich selbst." Chirac kommt aus den Reihen der konservativen Gaullisten, kämpft für bedrohte Völker und Umweltschutz. Der britische „Economist“ schreibt: "Chirac ist zu dem am weitesten links stehenden Führer Europas geworden. Der französische Präsident ist sozialistisch."

Derzeit gibt es viele Sorgen für Chirac. Unter dem Namen AZF haben Erpresser ihn vor wenigen Wochen bedroht und Geld gefordert. Die Drohungen beziehen sich auf den Monat Mai. Die Hinweise werden momentan untersucht.

Paladin für Europa

Dauernd fordert Chirac sein Volk auf, ernsthaft über die Volksabstimmung zur EU Verfassung nachzudenken. Das Referendum wird am 29. Mai stattfinden und laut Chirac „das Schicksal Frankreichs und seiner Bevölkerung für Jahrzehnte bestimmen“. Frankreich ist nach Spanien das zweite Land, dessen Bevölkerung über die EU-Verfassung abstimmen soll. Die Spanier hatten im Februar mehrheitlich mit Ja gestimmt. Den Meinungsumfragen zufolge lehnen aber immer mehr Franzosen die EU-Verfassung ab.

Hauptgründe dafür sind mögliche Beitrittsgespräche mit der Türkei und der Wunsch nach einer stärker sozial ausgerichteten Politik der EU. Sollte die Verfassung in Frankreich scheitern, wäre sie nach Einschätzung führender EU-Vertreter am Ende. Denn damit die EU-Verfassung in Kraft treten kann, ist die Zustimmung aller 25 Mitgliedstaaten nötig. Etwa die Hälfte davon will so wie Frankreich darüber ihre Bevölkerung entscheiden lassen. In den anderen Staaten, darunter auch Deutschland, stimmen die Parlamente ab.

Freundlich aber bestimmt

Auch mit den USA gibt es weiterhin Ärger. Bush und Chirac begegnen sich zwar freundlich und höflich, dennoch sitzt das Zerwürfnis über den Irak-Krieg tief. ”Ein Krieg, dem es an Legitimität fehlt, erhält diese Legitimität nicht deshalb, weil der Krieg gewonnen wurde", sagt er in einem Interview mit der Financial Times. Es weht ein eisiger Wind, seit die USA Frankreich vorwerfen, aktiv Koalitionen gegen den Kriegskurs der USA geschmiedet zu haben. Nun zeigt sich Chirac als Optimist, er will den Irak-Konflikt hinter sich lassen und in eine gemeinsame europäische Zukunft blicken. Chirac steht für die deutsch-französische Versöhnung, diese Agenda hat er sich auf die Fahnen geschrieben. Zu den Feierlichkeiten zum Jahrestag des D-Days in der Normandie lud er Gerhard Schröder und Wladimir Putin ein – ein historischer Augenblick. Chirac steht aber auch für ein beharrliches Werben um enge Beziehungen mit einigen der repressivsten arabischen Diktatoren.

Mit Ausdauer an die Spitze

Jacques Chirac wird am 29. November 1932 in Paris geboren. Sein Vater Francois ist Unternehmensverwalter. Aktiv ist Jacques schon immer, er sammelt als Student Unterschriften für den Frieden, soll sogar kommunistische Schriften verteilt haben. Er heiratet am 16. März 1956 Bernadette Chodron de Courcel, sie bekommen zwei Kinder, Laurence und Claude. Chirac dient in Algerien beim Militär, studiert am renommierten Institut de Sciences Politique (Sciences Po) und an der Summer School der Harvard-Universität, schließt die Eliteverwaltungsschule „Ecole nationale d'Administration“ (ENA) ab. Danach geht er in die Politik.

Er wird Stadtrat der Gemeinde Sainte-Frole. Zwei Jahre später, 1967, holt ihn sein politischer Ziehvater Georges Pompidou in sein Kabinett. Chirac ist Staatssekretär für soziale Angelegenheiten, zuständig für Beschäftigungsprobleme. Es geht steil bergauf. Chirac wird Landwirtschaftsminister, Innenminister und schließlich 1974 Premierminister. Chirac ist Bürgermeister von Paris und versucht drei Mal erfolglos, Staatspräsident zu werden. Dann klappt es endlich: 1995 zieht er in den Elyse-Palast ein. Er kandidiert damals für die bürgerliche Rechte und lässt sich gern mit dem Satz zitieren „Natürlich bin ich ein Linker, ich esse Sauerkraut und trinke Bier“.

Eine ausführliche Fassung des Porträts finden Sie unter www.europolitan.de.

Quelle: ntv.de

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