"Menschen mit kalten Herzen" Kaum Wissen über DDR-Spezialheime
08.11.2009, 14:39 Uhr
Der ehemalige Insasse Ralf Weber sitzt in einer Dunkelzelle des ehemaligen Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau.
(Foto: dpa)
Am 19. September 1987 schreibt Constanze N. in ihr Tagebuch: "Und wieder nur Menschen mit kalten Herzen." Constanze N. ist zu der Zeit im Jugendwerkhof Aschersleben untergebracht. Sie ist eine jener Kinder und Jugendlichen, die den DDR-Oberen nicht recht waren, einer jener "fehlgeleiteten" jungen Menschen, die in Spezialheimen und Jugendwerkhöfen zu "sozialistischen Persönlichkeiten" umerzogen werden sollen. Die Tagebuch-Notiz von Constanze N. ist Teil einer eindrucksvollen neuen Dauerausstellung im ehemaligen Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau.
Die Schau "Ich bin als Mensch geboren und will als Mensch hier raus!" zeige die menschenverachtenden Methoden, mit denen die DDR junge Menschen zu "Objekten staatlicher Willkür" gemacht hat, sagt die Leiterin der Stasi-Unterlagen-Behörde, Marianne Birthler. Mehr als 10.000 Kinder und Jugendliche seien Opfer der DDR-Heimerziehung geworden; allein im einzigen Geschlossenen Jugendwerkhof des Landes in Torgau mussten mehr als 4000 "Zöglinge" viele Monate ihres Lebens verbringen.
"Milieugeschädigt"
Einer von ihnen ist der 54-jährige Ralf Weber. Er saß vom 17. September 1971 bis 5. Februar 1972 in Torgau; insgesamt verbrachte er zwölf Jahre in DDR-Heimen. Er spricht schnell, fast hastig: "Das ganze System war eine Misshandlung", sagt er und berichtet von Drill, Arrest, Akkord-Arbeit, Schlägen, Sport als Strafe. Warum er in den Jugendwerkhof und sogar in das "Kombinat der Sonderheime" für "verhaltensgestörte" Jugendliche kam? "Ich weiß es nicht", sagt er. Ein "Schreibtischtäter" habe ihm als Kind bescheinigt, "milieugeschädigt" zu sein - das war der Anfang.

Die Ausstellung ist im ehemaligen Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau untergebracht.
(Foto: dpa)
In der neuen Dauerausstellung sind an einer Wand Gründe aufgelistet, warum jemand ins Heim oder in den Jugendwerkhof musste. Einem jungen Mädchen wurde ein schädlicher Einfluss aufs Kollektiv bescheinigt, ein junger Mann habe noch nicht seine Absicht aufgegeben, zu seinem leiblichen Vater in die Bundesrepublik zu gelangen. Bei Beate N., 17 Jahre, steht: "Wort und Tat stimmen bei ihr nicht überein."
Oft lapidare Anlässe
So lapidar der Anlass oft gewesen zu sein scheint, so drakonisch war der Umgang mit den Kindern und Jugendlichen. In der Ausstellung verbirgt sich hinter einer Tür mit der Aufschrift "Endstation Torgau" eine hölzerne Zellentür. Ein Blick durchs Guckloch endet auf der Original-Aktennotiz über eine "Bestrafung": Sechs Tage Arrest wegen Briefschmuggels wurden einem jungen Menschen aufgebrummt.
Marianne Birthler sagt, sie stelle immer wieder fest, dass die Menschen von den DDR-Spezialheimen und Jugendwerkhöfen kaum etwas wissen. "Da ist nichts zu vergessen; man muss es erst erfahren." Der ehemalige Insasse Ralf Weber sagt, er investiere im Opfer-Beirat viel Zeit, um über das dunkle Kapitel der SED-Diktatur aufzuklären, "weil einige ehemalige DDR-Bürger nicht begreifen wollen, dass wir in einem Unrechtsstaat groß geworden sind".
Quelle: ntv.de, Birgit Zimmermann, dpa