"Wir spielen keine Rolle mehr" Kein Einfluss in Afghanistan
22.03.2009, 13:36 UhrAls Franz Josef Jung kürzlich im Hauptquartier der Internationalen Schutztruppe ISAF in Kabul vor die Medien trat, fehlte der Gastgeber. ISAF-Kommandeur David McKiernan hatte offenbar besseres zu tun - ungewöhnlich, schließlich ist Jung Verteidigungsminister der drittgrößten Truppenstellernation und des viertgrößten Geberlandes.
Der kleine Eklat ging auf die letzte - noch gemeinsame - Pressekonferenz im Spätsommer 2008 zurück. Damals hatte der US-General zum Missfallen Jungs das hässliche Wort vom "Krieg" in Afghanistan in den Mund genommen, das die Bundesregierung für den unpopulären Einsatz geflissentlich vermeidet. Seither geht man sich in der Öffentlichkeit lieber aus dem Weg.
McKiernans Fernbleiben könnte als Kleinigkeit abgetan werden - wäre der Vorfall nicht Teil einer allgemeinen Abstiegs-Geschichte: Deutschlands Einfluss in Afghanistan und unter den Verbündeten hat spürbar abgenommen. Vor dem NATO-Gipfel sticht insbesondere der Bedeutungsverlust in der einst von Deutschen geführten ISAF ins Auge: Bis Ende vergangenen Jahres stellte die Bundeswehr den Chef des Stabes, eine der wichtigsten Führungspositionen. Diesen Posten hat zu Jahresbeginn ein Italiener übernommen. Der höchstrangige deutsche Offizier ist nun einer der Vize-Stabschefs - zuständig für Logistik.
Kein deutsche Schlüsselfigur mehr
"Es gibt keine deutsche Schlüsselfigur mehr, die etwas gestalten, etwas auf den Weg bringen kann", heißt es im ISAF-Hauptquartier. "Die Musik bei der ISAF spielt in Kabul, nicht in (dem nordafghanischen Bundeswehr-Standort) Masar-i-Scharif. Das scheint man nicht begriffen zu haben." Auch wenn die Deutschen ihr Truppenkontingent stetig erhöht hätten: "Die stellen Masse, aber keine Klasse." Das Verteidigungsministerium in Berlin sieht Deutschland dagegen "auch 2009 angemessen im ISAF-Hauptquartier vertreten". Mit einem zusätzlichen Brigadegeneral sei es zudem gelungen, so die vielsagende Formulierung, "den Verlust des Chief of Staff (Chef des Stabes) zumindest teilweise zu kompensieren".
Das Auswärtige Amt hält sich mit öffentlichen Äußerungen zur Frage des deutschen Einflusses am Hindukusch zurück. Ein hochrangiger deutscher Entwicklungsexperte, der in Afghanistan arbeitet und anonym bleiben will, macht die Bundesregierung für die schwindende Bedeutung im militärischen, aber auch im zivilen Bereich verantwortlich. "Wir haben unseren Einfluss ganz bewusst aufgegeben", kritisiert er. Dabei hätten die in Afghanistan traditionell beliebten Deutschen "in einem Maße Einfluss nehmen können, das selbst die Amerikaner nicht an uns vorbeigekommen wären. Diese Chance haben wir nie ergriffen."
Afghanistan soll keine Wählerstimmen kosten
Mehr Einfluss hätte mehr Verantwortung in Afghanistan bedeutet - und mit der Übernahme von mehr Verantwortung am Hindukusch lassen sich in Deutschland kaum Wählerstimmen gewinnen. Schließlich fordert eine Mehrheit der Bundesbürger in Umfragen immer wieder das genaue Gegenteil: den Abzug der Bundeswehr. Innenpolitisch undurchsetzbar scheint auch die immer wieder gestellte Forderung von Bündnispartnern, deutsche Soldaten ins südafghanische Kampfgebiet zu entsenden. Die Weigerung Berlins hat die Beziehung zu anderen NATO- Partnern wie den USA schon vor Jahren belastet - und Deutschland in Afghanistan dem Vorwurf der Drückebergerei ausgesetzt.
Die "New York Times" schrieb vor wenigen Tagen mit Blick auf den bevorstehenden NATO-Gipfel, die US-Regierung habe es inzwischen "aufgegeben", Deutschland um Soldaten für den Süden zu bitten. Es sei Wahljahr in Deutschland, und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) "will nichts zu tun haben mit Afghanistan und Krieg". Seit ihrem Wahlsieg 2005 besuchte Merkel Afghanistan nur ein einziges Mal. Zum Vergleich: Der britische Premierminister Gordon Brown war binnen eines Jahres drei Mal am Hindukusch.
Dabei spielte die Bundesrepublik nach dem Sturz der Taliban zunächst eine entscheidende Rolle. Ende 2001 war Deutschland Gastgeber der Petersberg-Konferenz, auf der die Weichen für die Zukunft Afghanistans gestellt wurden. Deutschland bot in den Anfangsjahren der ISAF nicht nur das größte Kontingent auf, sondern gleich zweimal den Kommandeur der Schutztruppe. 2004 fand in Berlin ein großes Gebertreffen statt. 2005 übernahm die Bundeswehr das Regionalkommando für Nordafghanistan in der ISAF.
Zahlreiche deutsche Positionen ersetzt
Berlin entsandte einen Wirtschaftsberater in den Präsidentenpalast nach Kabul, doch der Posten wurde 2006 ersatzlos gestrichen. Die Bundesrepublik übernahm die Verantwortung für den wichtigen Polizeiaufbau, die aber 2007 nach massiver Kritik an die EU überging, inzwischen führt ein Däne die Mission. Von März 2006 bis Ende 2007 war der UN-Sondergesandte in Kabul ein Deutscher - er wurde durch einen Norweger ersetzt.
"Wir spielen faktisch keine Rolle mehr, auch in der Wahrnehmung der afghanischen Regierung", sagt der Entwicklungsexperte. "Dass wir in Kabul keine Männer oder Frauen von Gewicht im militärischen, diplomatischen und im Wiederaufbaubereich haben, führt dazu, dass wir auch in der Internationalen Gemeinschaft nicht mehr wahrgenommen werden." Mit Verwunderung quittierten Diplomaten, dass im vergangenen Herbst der Leiter der Wirtschaftsabteilung in Peking zum deutschen Botschafter in Kabul bestellt wurde - nachdem dort in den Jahren zuvor ein ausgewiesener Afghanistan-Kenner die Bundesrepublik vertreten hatte.
Zwar hat das Auswärtige Amt die Afghanistan- und Pakistan-Politik mit der Benennung von Bernd Mützelburg zum Sonderbeauftragten offiziell aufgewertet. Doch der bisherige Botschafter in Indien geriet in die Mühlen des Wahlkampfs. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) informierte weder das Kanzleramt noch die anderen betroffenen Ministerien über seine Entscheidung. Mützelburg saß noch im Flugzeug auf dem Weg von Indien nach Deutschland, als er bereits öffentlich demontiert wurde. Die Folge: Der Spitzendiplomat vertritt nun - anders als etwa der US-Sonderbeauftragte Richard Holbrooke - offiziell nicht die ganze Regierung, sondern nur das Außenamt.
Can Merey, dpa
Quelle: ntv.de