Dossier

Sechs Wochen bis Medwedew Keine Spur von Wahlkampf

Russland bleibt auch politisch ein Land der Extreme. Die Zeit vor der Parlamentswahl im Dezember glich noch einer inszenierten Massenhysterie mit Großaufmärschen im Sinne des Kremls, wüsten Drohungen gegen den Westen und Hetze gegen die Opposition. Vor der Präsidentenwahl am 2. März herrscht dagegen eine landesweite Lähmung, die auch nach dem Ende der traditionellen Neujahrsferien anhält.

Seit der scheidende Präsident Wladimir Putin Mitte Dezember seinen Vertrauten Dmitri Medwedew (42) zum Wunschnachfolger erklärt hat, scheint der Wahlkampf vorbei zu sein, bevor er überhaupt angefangen hat. Der Vizeregierungschef darf sich seines Sieges sicher sein. Das Staatsfernsehen zeigt ihn sechs Wochen vor der Entscheidung mit nüchterner Regierungsarbeit statt mit flammenden Wahlkampfreden.

Die Radiomoderatorin Jewgenija Albaz vom Sender "Echo Moskwy" spricht von einer "politischen Apathie" vor der russischen Präsidentenwahl. In den USA laufe dagegen der Wahlkampf schon jetzt auf Hochtouren, wenngleich die eigentliche Abstimmung erst im November anstehe. Der Soziologe Georgi Satarow hat in der Radiosendung dafür eine einfache Erklärung: "Bei uns wird der zukünftige Präsident faktisch ernannt und nicht gewählt." Als Albaz die Hörer fragt, ob sie sich für den Ausgang der Wahl interessierten, antworten fast zwei Drittel der Anrufer mit "Nein".

Putinschen Kurs fortsetzen

Der Westen atmete nach Putins Ritterschlag für Medwedew auf. Der Aufsichtsratschef des Gasmonopolisten Gazprom gilt als relativ liberaler und aufgeschlossener Politiker ohne Geheimdienst-Vita. Bislang hat Medwedew nichts unternommen, um sich auf Kosten der Europäer oder Amerikaner im eigenen Land zu profilieren. Anlässe wie den Zwist mit London um das Kulturinstitut British Council oder auch die umstrittene Wiederwahl des prowestlichen georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili hätte es für Medwedew zur Genüge gegeben.

Der Kremlkandidat hat angekündigt, in nächster Zeit in den Wahlkampf einsteigen zu wollen. Im Gespräch sind Auftritte vor Vertretern der Zivilgesellschaft oder auf dem nationalen Juristenkongress. Klar ist bislang nur eines: Medwedew will den Putinschen Kurs fortsetzen, was auch immer das genau heißen mag. Auf die dringendste Frage hat er noch keine Antwort gegeben: Wie wird das angekündigte Tandem mit Putin als untergeordnetem Regierungschef die Macht unter sich aufteilen?

In Umfragen liegt der auf Sozialpolitik spezialisierte Medwedew bei über 70 Prozent. Entsprechend schwach ist die Motivation der anderen ausgeprägt. Die Kommunisten haben aus alter Tradition ihren Parteivorsitzenden Gennadi Sjuganow (63) nominiert. Für die Nationalisten geht der wahlerprobte Wladimir Schirinowski (61) ins Rennen. In jüngsten Umfragen glaubte nur jeweils ein Prozent der Bürger, dass der nächste Präsident Sjuganow und Schirinowski heißt.

Viele Russen schätzen die Ruhe vor der Wahl

Abwechslung im Wahlkampf verspricht allenfalls das Schicksal der sogenannten Einzelkandidaten, die nicht von in der Duma vertretenen Parteien aufgestellt wurden. Der Bewerber Michail Kasjanow, vom geschassten Regierungschef zum Oppositionspolitiker gewandelt, hat die erforderlichen zwei Millionen Unterschriften eingereicht. Nun sitzen Graphologen von Polizei und Geheimdienst über Tonnen von Papier, um die Echtheit der Unterschriften zu prüfen. Die Opposition befürchtet, dass Kasjanow wegen angeblich gefälschter Unterschriften noch von der Wahl ausgeschlossen wird.

Viele Russen schätzen allerdings die Ruhe vor der Wahl. Ein Schlagabtausch wie zuletzt in Georgien, wo Präsident und Opposition um Mehrheiten rangen und über Manipulationen stritten, gilt als wenig erstrebenswert. "Wenn die politische Stimmung dem Winter angemessen abgekühlt ist, kommt mehr für unser Land heraus", sagt der zweite Einzelkandidat neben Kasjanow, Andrej Bogdanow. "Zu viel Aktivität führt bei uns nur zu schädlichen Revolutionen", behauptet der Vorsitzende der kremlnahen Demokratischen Partei.

Von Stefan Voß, dpa

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen