Frankreichs Patzer und Pannen Klagen über EU-Ratsvorsitz
16.09.2008, 10:38 UhrDer Minister stand an der Hotel-Rezeption und staunte. Die französische EU-Ratspräsidentschaft hatte den Ressortchef zum informellen Ratstreffen am Mittelmeer eingeladen, aber ein Hotelzimmer war entgegen aller Gepflogenheit nicht für ihn reserviert. Das war Anfang Juli in Cannes. Seither häufen sich die Patzer und Pannen im Vorsitzland Frankreich.
Jüngstes Beispiel ist die kurzfristige Verlegung des EU-Ukraine-Gipfels von Evian am Genfer See nach Paris. Präsident Nicolas Sarkozy hätte auf dem Rückflug von Gesprächen in Moskau und Tiflis zweifellos in Evian haltmachen können, um dort wie seit Monaten geplant seinen ukrainischen Amtskollegen Viktor Juschtschenko zu treffen. "Aber wahrscheinlich hatte er es eilig, nach Hause zu seiner Carla zu kommen", behaupten böse Zungen in Paris.
"Totales Chaos" ausgelöst
Ergebnis: Dutzende angereiste Reporter mussten in Evian Hals über Kopf ihre Sachen packen und in die Hauptstadt eilen. Das habe ihn gut 350 Euro extra gekostet, rechnet ein britischer Korrespondent aus Brüssel vor. Eine polnische Journalistin berichtet, die Last-Minute-Entscheidung der Präsidentschaft habe in Evian "totales Chaos" ausgelöst: Während internationale Presseagenturen bereits die Verlegung des Gipfels nach Paris meldeten, hätten Verantwortliche in Evian einem Kollegen noch versichert, alles bleibe beim Alten: "Glücklicherweise hat er es nicht geglaubt."
Der zweitgrößte EU-Staat hat - anders als kleine Vorsitzländer zuvor - bei der Organisation enorme Probleme: Eigens engagierte Busfahrer finden den Weg zu Tagungsorten nicht, Journalisten werden auf Verlangen der Regierung aus lang im Voraus gebuchten Hotels geworfen, in den Pressezentren bricht regelmäßig die Technik zusammen. Beim Treffen der Finanzminister in Nizza fehlte den Reportern nicht nur Zugang zum Internet, sondern mindestens einem Minister auch der Koffer. Er ging auf dem Weg zum Hotel verloren.
"Alptraum von Evian"
Klagen häufen sich. Die Vereinigung der Auslandspresse in Brüssel (API) richtet nach dem "Alptraum von Evian" bereits den dritten Protestbrief innerhalb von zweieinhalb Monaten an die Verantwortlichen. Doch die Franzosen zeigen wenig Einsicht.
Als Polizisten ein Fernsehteam der Deutschen Welle beim Innenministerrat in Cannes daran hinderten, eine Demonstration gegen die französische Einwanderungspolitik zu filmen, protestierte die API sofort. Wochen später bügelte Ressortchefin Michle Alliot-Marie die Kritik ab: Die deutschen Reporter hätten sich "unwillig" gezeigt und den höflichen Polizisten mit "anzüglichen Bemerkungen" geantwortet, seien für die Kontrolle also letztlich selbst verantwortlich.
Schlampig vorbereitetes Treffen
Manchmal überdecken die technischen Schwierigkeiten den Blick auf die Inhalte. Zum Abschluss des chaotischen Mittelmeer-Gipfels präsentierte Präsident Sarkozy in Paris eine Erklärung, die später noch nachgebessert wurde. Das Treffen war so schlampig vorbereitet, dass sich die Staats- und Regierungschefs von EU-Staaten und Mittelmeerländern nicht zeitgerecht auf einen Wortlaut einigen konnten. Aber das fiel erst im Nachhinein auf.
Erkennbar mit heißer Nadel gestrickt war indes der Sechs-Punkte-Plan, mit dem Ratspräsident Sarkozy die Krise im Kaukasus zu beruhigen suchte. Zwischen zwei Gesprächen nachgebessert und unterschiedlich ausgelegt bereitete das Papier den Korrespondenten zwar Kopfzerbrechen. "Große Probleme" aber, so ein Beobachter, hatte eine andere Gruppe mit dem Ergebnis von Sarkozys hektischer Reisetätigkeit: die professionellen EU-Diplomaten.
Quelle: ntv.de, Roland Siegloff, dpa