"Nur noch Schwerverbrecher" Knastkrise schadet Blair
29.01.2007, 12:31 UhrManche britische Satiriker stellen sich die Sache so vor: An den Gefängnissen steht "Wegen Überfüllung geschlossen". Soldaten werden zu Heimschläfern erklärt, weil ihre Kasernenbetten für Verbrecher gebraucht werden. Und vor den Küsten des Königreiches ankern Schiffe voll mit Häftlingen. Die jüngste Krise, die den für manche Beobachter quälend langsamen Abschied des Premierministers Tony Blair von der Macht überschattet, ist eine Krise des Strafvollzugs.
Sie bewegt die Briten noch stärker als andere Skandale - darunter eine Affäre um die angebliche Vergabe von Adelstiteln gegen Millionenspenden für Blairs klamme Labour-Partei. Ganz so schlimm wie zum Spott neigende Kommentatoren es ausmalen, ist die Lage in britischen Gefängnissen zwar noch nicht. Aber es fehlt nicht viel.
Erhebungen des Innenministeriums gehen davon aus, dass bis zum Sommer die Zahl der Gefangenen bei anhaltenden Trends auf 83.500 wachsen würde. Das sind weit mehr als die Haftanstalten beherbergen können, in denen jetzt schon 81.000 Gefangene und damit im relativen Vergleich mehr als in jedem anderen EU-Staat sitzen.
Der Volkszorn über die Knastkrise, den die Medien täglich artikulieren, entzündete sich an einem durchgesickerten Rundschreiben des Innenministers John Reid an die Richter: Sie mögen doch bei ihren Urteilen bedenken, dass die Gefängnisse zum Bersten voll sind und möglichst "nur noch Schwerverbrecher" in den Knast schicken.
Ein Aufschrei der Empörung ging durchs Land, als Richter daraufhin zwei Pädophilen Haftverschonung gewährten. Einer - er hatte massenweise Kinderpornos aus dem Internet auf seinen Heimcomputer heruntergeladen - sagte grinsend in einem BBC-Interview: "Macht nicht den Richter verantwortlich, der tat nur seine Pflicht."
Dass die "Sun" den Blair-Vertrauten Reid mit einem Vakuum im Kopf abbildete und zur Suche nach seinem Gehirn aufrief, konnte niemanden wundern, der die Unbarmherzigkeit britischer Boulevardblätter kennt. Blair selbst schnitt in Kommentaren nicht besser ab, als er seinem Innenminister zur Seite sprang.
Man müsse auch mal sehen, was von der Labour-Regierung an Positivem erreicht worden sei, forderte der Regierungschef. Schließlich sei die Kriminalität gesunken, was damit zu tun habe, dass heute "40 Prozent mehr gefährliche, gewalttätige und hartnäckige Täter im Gefängnis sitzen als noch 1997".
Wenn das so geplant war, konterte der Polizei-Experte Robert Chesshyre, sei zu fragen, "wieso niemand die Weitsicht hatte, mehr Gefängniszellen zu bauen". Freilich sehen Beobachter die Knastkrise ebenso wie die Spendenaffäre, bei der die Ermittlungen immer näher an Blair persönlich heranrücken, nur als zwei von vielen Symptomen des Niedergangs der Ära Blair.
Begonnen hatte der Sinkflug des Premierministers in der öffentlichen Meinung 2003 mit seinem Bekenntnis zum Irak-Krieger George W. Bush. Schwere innenpolitische Pannen, darunter bei der Terrorismusbekämpfung, in der Schul-und der Gesundheitspolitik kamen hinzu. Im Sommer kündigte Blair unter dem Druck innerparteilicher Gegner, die ihn durch Schatzkanzler Gordon Brown ersetzen wollen, die Niederlegung seiner Ämter bis spätestens September 2007 an.
Das konnte nicht verhindern, dass Labour in den Umfragen abstürzte und der Stern der erneuerten Konservativen Partei aufstieg. Fast zwei Drittel der Briten haben demnach eine schlechtere Meinung von Blair als vor einem Jahr. Der "Blair-Effekt" schade Labour erheblich, schrieb der linksliberale "Guardian". Da konnte sich der konservative "Daily Telegraph" wohl der Zustimmung vieler Labour-Sympathisanten sicher sein, als er am Samstag forderte: "Ihnen und uns allen zuliebe, Mr. Blair - treten Sie ab."
Thomas Burmeister, dpa
Quelle: ntv.de