Dossier

Berlin statt Rom Kotau vor dem CDU-Präsidium

Eigentlich wollte Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) an diesem Montag im Festtagsgewand nach Rom fahren. Aus Anlass des Papst-Geburtstags wollte der Stuttgarter Regierungschef im Vatikan Benedikt XVI gratulieren und das Radio-Sinfonieorchester des Südwestrundfunks aufspielen lassen. Doch wegen der anhaltenden Kritik an der Trauerrede für seinen Vorgänger Hans Filbinger (CDU) musste Oettinger hektisch umplanen: Im Büßergewand fuhr er gen Berlin zur CDU-Präsidiumssitzung - und machte noch vor dem Treffen einen für Politiker eher seltenen Kotau. Statt des Papstes wartete die CDU-Vorsitzende und Kanzlerin Angela Merkel auf den Ministerpräsidenten.

Nach Protesten aus allen Richtungen wegen Passagen aus seiner Trauerrede für Filbinger hatte sich Oettinger zur Entschuldigung durchgerungen. Auf die Frage, ob er daran festhalte, das sein am 1. April gestorbener Amtsvorgänger "ein Gegner des NS-Regimes" gewesen sei, trat Oettinger den Rückzug an: "Ich halte meine Formulierung nicht aufrecht." Ausdrücklich sagte er, dass er sich davon distanziere und nach Berlin gereist sei, um sein Bedauern auszudrücken. Merkel und CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla mussten ihre Überzeugungskraft nachdrücklich einsetzen.

Mit dreitägiger Verzögerung hat der Ministerpräsident vollzogen, was Merkel ihm am vergangenen Freitag öffentlich nahe gelegt hatte. Die Parteivorsitzende hatte sich ungewöhnlich deutlich und mit aller Schärfe von Oettingers Aussagen distanziert. Sie hätte sich gewünscht - so ihre Worte - dass neben der Würdigung der großen Lebensleistung Filbingers auch die kritischen Fragen im Zusammenhang mit der Zeit des Nationalsozialismus zur Sprache gekommen wären.

In der Partei war das Unverständnis über Oettinger mit jedem Tag gewachsen. Im Berliner Adenauer-Haus und in vielen Landesverbänden hatten alte Weggefährten noch gut die Zeiten der Filbinger-Affäre in Erinnerung. Zwischen 1977 und Anfang 1978 wurde lange über die Rolle des damaligen Ministerpräsidenten bei der Verhängung und Vollstreckung von Todesurteilen während der NS-Zeit gestritten. So lange, bis Filbinger nicht mehr zu halten war - auch weil er sein Verhalten mit dem inzwischen berühmten Satz verteidigt hatte, wonach das, was damals Recht gewesen sei, heute nicht Unrecht sein könne.

Oettinger selbst räumte bei seinem überraschenden Statement ohne Umschweife ein, dass in den vergangenen Tagen, "viele Gespräche" geführt worden seien - "auch mit Frau Dr. Merkel". Vor der Sitzung gab es sogar Gerüchte, dass Merkel Oettinger zur Änderung seiner Rom-Pläne gedrängt habe, damit er in Berlin reinen Tisch machen könne. Oettinger, so der Tenor, wird die Sache durchstehen, auch wenn die Opposition weiter seinen Rücktritt fordern wird.

Im Gedächtnis wird aber auch das Verhalten der Kanzlerin bleiben. In ihrer mittlerweile siebenjährigen Amtszeit als Parteivorsitzende hatte Merkel bislang noch nie so deutlich und so offen Position gegen eine Aussage eines Ministerpräsidenten aus der CDU Stellung bezogen. Ihr öffentlicher Tadel Richtung Oettinger zeigte nach Ansicht von CDU-Spitzenpolitikern aber auch, dass die Kanzlerin sich ihrer Macht sicherer denn je ist.

Merkel spricht, egal ob in Peking oder Washington, Verletzungen der Menschenrechte deutlich an. Logisch, dass sie auch Relativierungen von Menschenrechtsverletzungen in der deutschen Vergangenheit nicht mittragen kann. Als Merkel vor Oettinger zur Präsidiumssitzung erschien, wusste sie schon, dass Oettinger auf ihre Linie eingeschwenkt war. Entsprechend zufrieden sprach sie von einem "wichtigen und notwendigen" Schritt Oettingers. "Ich erwarte jetzt, dass die Entschuldigung auch gehört wird", fügte sie hinzu. Auf die Frage, ob er sich von Merkel in den vergangenen Tagen richtig behandelt gefühlt habe, sagte Oettinger: "Ich habe mich nicht zu beklagen."

von Ulrich Scharlack und Gerd Reuter, dpa

Quelle: ntv.de

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