Dossier

Geheimdienst entscheidet Krieg um Kranke

von Ulrich W. Sahm, Jerusalem

Nael el Kordi, 20, ist tot. Er starb in Gaza an Krebs. Vielleicht hätte er gerettet werden können, wenn Israel ihn rechtzeitig zu Behandlungen ins Land gelassen hätte. Doch der Geheimdienst verweigerte dem jungen Palästinenser die Passage durch den Erez-Grenzübergang. Das Verteidigungsministerium soll behauptet haben, dass El Kordi einer terroristischen Vereinigung angehört und deshalb für Israel ein Sicherheitsrisiko bildet. Entscheiden tue jedoch letztlich der Inlandsgeheimdienst. "Der Junge konnte sich nicht mehr bewegen und alleine essen. Wem hätte der noch Leid antun können?", fragt dessen Vater in bestem Hebräisch in einem Rundfunkinterview.

Insgesamt zehn schwerkranke Palästinenser aus dem Gazastreifen warten seit Wochen auf die israelische Erlaubnis, ein israelisches Krankenhaus aufsuchen, nach Jordanien oder Ägypten weiterreisen zu dürfen. Die Krankenhäuser in Gaza können diese Fälle nicht behandeln. Die Frau eines Hamas-Aktivisten und ihre Tochter sind schwer an Hepatitis erkrankt. Ohne schnelle und professionelle Hilfe droht ihnen der Tod. "Sie sollten nicht wegen meiner politischen Aktivitäten bestraft werden", wird jener Hamas-Aktivist zitiert.

Vor zwei Wochen wandten sich die israelischen "Ärzte für Menschenrechte" (PHR) mit einer dringenden Petition an das Oberste Gericht, um die Einreiseverweigerung der Behörden umgehend aufheben zu lassen. Salim Joubran, 60, der einzige arabische Richter an der höchsten Instanz im israelischen Rechtswesen, wollte die Dringlichkeit nicht anerkennen und vertagte das Verfahren, damit der Geheimdienst die Krankheitsfälle noch einmal genau überprüfen könne. Doch Johanna Lerman, die Anwältin von PHR, sagt, dass alle Unterlagen den Behörden schon zwei Wochen vor der Klage beim Obersten Gericht vorgelegen hätten. "Nael el Kordi wird die lange Prüfung nichts mehr nützen. Er ist tot. Und den übrigen Patienten droht ein ähnliches Schicksal."

Nach offiziellen Angaben hat sich die Zahl der palästinensischen Patienten mit Einreiseerlaubnis nach Israel auf 14.000 verdoppelt. Nur drei Prozent der Anträge würden aus "Sicherheitsgründen" abgelehnt. Wie Miri Weingarten von PHR auf Anfrage sagte, gebe es keine finanziellen Probleme, jedenfalls nicht bei den Schwerkranken aus Gaza. Die palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah habe sich verpflichtet, für alle Kosten aufzukommen.

Nael el Kordi ist nur die Spitze des Eisbergs der desolaten Lage, in der sich die palästinensische Bevölkerung befindet. So sperrte Israel die Einreise für palästinensische Ambulanzen, nachdem sie für den Transport von Terroristen missbraucht worden waren. In einem Fall sollte eine Sprengstoffjacke für einen Selbstmordattentäter versteckt unter einem Patienten an den Straßensperren vorbei nach Israel geschmuggelt werden. Seitdem müssen selbst todkranke Patienten an der Grenze in eine israelische Ambulanz umgeladen werden.

Beim Grenzübergang Erez wurden die Kontrollen erheblich verschärft, nachdem eine am ganzen Körper verbrannte junge Frau versuchte, einen Sprengsatz nach Israel zu schmuggeln. Sie war im Soroka-Hospital in der südisraelischen Stadt Beer Schewa gesund gepflegt worden. Als die Ärzte sie zu einer Nachuntersuchung eingeladen hatten, kam sie mit allen Papieren. Dennoch musste sie sich vor laufender Überwachungskamera bis auf die Unterwäsche ausziehen. Da entdeckten die israelischen Beamten den Sprengsatz. Die Frau gestand, dass die das Krankenhaus sprengen und die Ärzte töten wollte, die sie gepflegt hatten. Vorher hatte sich eine wegen eines Seitensprungs von Scheich Ahmed Jassin in den Tod geschickte Frau an dem Grenzübergang Erez in die Luft gesprengt und drei Israelis getötet: Sie hatte an der Grenzkontrollstelle gehumpelt, und als die Metalldetektoren pfiffen, behauptete sie Metallschienen im Bein zu haben. Die Israelis ließen sie durch und wurden Sekunden später zerfetzt.

Nicht nur die Israelis behindern die freie Einreise: Nach einer großen Schießerei bei einer Demonstration der Fatah-Partei am Gedenktag für Jassir Arafat in Gaza am 11. November, als Hamas-Kämpfer in die Menge schossen, acht Menschen töteten, Journalisten verprügelten und am Tag darauf hunderte Fatah-Leute festnahmen, habe die Hamas kurzerhand 150 angeschossenen Demonstranten, darunter auch Frauen und Kindern, die Ausreise nach Israel verboten. Zudem sorgt regelmäßiger Beschuss der Grenzübergänge mit Raketen und Mörsern für deren Schließung.

Quelle: ntv.de

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