Parlamentarische Hängepartie Lib Dems als mögliche Königsmacher
05.05.2010, 10:49 UhrTories gegen Labour: Die "Politik eines Rennens zweier Pferde" ist vorbei. Bei der Parlamentswahl in Großbritannien droht ein "hung parliament". Davon könnte Brown aber auch profitieren.

Lib Dem-Chef Clegg gefällt sich in seiner Rolle als Königsmacher.
(Foto: REUTERS)
Politikwissenschaftler halten dem britischen Wahlrecht zu Gute, dass es klare Mehrheiten hervorbringt. Keine langwierigen Regierungsbildungen, keine wackeligen Bündnisse, kein Dauerstreit unter Koalitionspartnern. Dafür wird auch in Kauf genommen, dass die Ergebnisse zu Gunsten der großen Parteien - den konservativen Tories und der sozialdemokratischen Labour - verzerrt werden. Bei der Parlamentswahl droht allerdings ein "hung parliament" - eine parlamentarische Hängepartie, bei der keine Partei die nötige Mehrheit an Sitzen hat.
Die neue Unübersichtlichkeit im politischen System Großbritanniens ist vor allem eine Folge des Aufstiegs der dritten politischen Kraft des Landes, der Liberaldemokraten. Deren telegener Spitzenkandidat Nick Clegg überzeugte in den erstmals abgehaltenen TV-Debatten und bot sich politikverdrossenen Wählern als Alternative zu den etablierten Parteien an. In den meisten Umfragen schoben sich die Lib Dems vorbei an der regierenden Labour-Partei und nur knapp hinter den Tories auf den zweiten Rang. Wegen der Eigenarten des britischen Wahlrechts könnte sich Premierminister Gordon Brown dennoch eine weitere Amtszeit sichern.
Wie bei einem Pferderennen
Im Prinzip geht es bei der Parlamentswahl in Großbritannien zu wie bei einem Pferderennen: Derjenige Kandidat, der seinen Kopf zuerst an der Zielmarkierung vorbeischiebt, ist im sogenannten first-past-the-post-System gewählt. Da jeder Wahlkreis nur einen Abgeordneten nach London schickt, gehen alle anderen Kandidaten leer aus - auch wenn nur eine Stimme den Sieger vom Zweitplatzierten trennt.

Gordon Brown könnte von einer parlamentarischen Hängepartie profitieren.
(Foto: REUTERS)
Die Konservativen, deren Hochburgen vorwiegend im bevölkerungsreichen Osten und Südosten Englands liegen, können insgesamt in weniger Wahlkreisen mit einem Sieg rechnen als die Labour-Partei mit ihrer geografisch weiter gestreuten Anhängerschaft. Zugleich sind die Tories Opfer der Bevölkerungsverlagerung von den Innenstädten in betuchte Vororte, was konservative Wähler auf relativ wenige begrenzte Regionen konzentriert. Der Zuschnitt der Wahlbezirke im Vereinigten Königreich wird nur alle zwölf Jahre an die veränderte Bevölkerungsverteilung angepasst.
Browns Chance: ein "hung parliament"
Nach einer Berechnung der Universität Plymouth müssten die Konservativen landesweit bis zu zehn Punkte Vorsprung auf Labour haben, um sich die absolute Mehrheit im Parlament zu sichern. Auch die Liberaldemokraten erhalten oft nur einen Bruchteil der Sitze, die sie bei einem Verhältniswahlrecht wie in Deutschland erlangen würden. Schon bei den Unterhauswahlen 2005 zeigten sich die Nachteile des reinen Mehrheitswahlrechts deutlich: Damals kam die Labour-Partei auf 36 Prozent der Stimmen, die Tories auf 32,3 Prozent. Dennoch stellte Labour 353 Abgeordnete, die Konservativen nur 196.
Insgesamt 650 Sitze sind im House of Commons zu vergeben, 326 sind für die Regierungsbildung nötig. Zuletzt entstand 1974 nach Parlamentswahlen ein "hung parliament". Sollte sich diese Konstellation wiederholen, hätte Brown gute Karten, trotz massiver Stimmverluste im Amt zu bleiben: Das britische Wahlrecht sieht vor, dass bei unklaren Mehrheiten die Initiative zur Regierungsbildung beim amtierenden Premierminister liegt.
Clegg, der Königsmacher
Brown müsste in diesem Fall ein Bündnis mit anderen Parteien schmieden. Dabei kämen nicht nur die Liberaldemokraten, sondern auch regionale Parteien aus Schottland, Wales und Nordirland in Frage. Wiedergewählt wäre Brown aber erst nach einer gewonnenen Vertrauensabstimmung im Parlament.
Lib Dem-Chef Clegg gefällt sich derweil in seiner Rolle als Königsmacher. Bewusst ließ er offen, ob er nach der Wahl eine Zusammenarbeit mit Labour oder den Tories mit Spitzenkandidat David Cameron eingehen würde. Sollte das Hoch der Liberaldemokraten von Dauer sein, dürfte dies die politische Landschaft in Großbritannien tiefgreifend verändern. "Das ist nicht mehr die alte Politik eines Rennens zweier Pferde", sagte Clegg.
Quelle: ntv.de, Loïc Vennin, AFP