Dossier

Machtkampf in Thailand "Lösung nicht in Sicht"

Mit dem Ende der öffentlichen Proteste durch die Opposition ist die politische Krise in Thailand noch lange nicht überstanden, erklärt Canan Atilgan im Interview mit n-tv.de. "Die grundsätzlichen Probleme bleiben". Thailand befinde sich derzeit in einem schwierigen Transformationsprozess, in dem die traditionellen Eliten des Landes den Verlust ihres Einflusses fürchten. In diesem "Kampf um die Sicherung von Macht- und Wirtschaftsinteressen" sieht die Thailand-Expertin derzeit keinen vielversprechenden Lösungsweg. "Für eine langfristige Lösung ist eine Grundsatzentscheidung der thailändischen Gesellschaft zugunsten demokratischer und rechtstaatlicher Prinzipien notwendig", meint Atilgan. Ansonsten werde das Land "im Chaos versinken".

n-tv.de: Das thailändische Verfassungsgericht hat die Regierungspartei PPP sowie zwei ihrer Koalitionspartner verboten. Vertreter der PPP haben bereits die Neugründung der Partei Puea Thai angekündigt, sie wollen auch wieder eine neue Regierung bilden. Waren die Proteste der oppositionellen Volksallianz für Demokratie (PAD) also umsonst?

Canan Atilgan: Umsonst waren die Proteste der außerparlamentarischen Opposition PAD sicherlich nicht. Aber nach dem Verbot der Regierungspartei gibt nun die Verfassung vor, welche weiteren Schritte erfolgen müssen; hinzu kommt, dass das Verfassungsgericht den Vorstandsmitgliedern der drei Parteien ein Politikverbot für fünf Jahre erteilt hat - davon sind insgesamt 109 Personen betroffen. Der Ablauf ist nun laut Verfassung folgender: Die Abgeordneten haben 60 Tage Zeit, in eine andere Partei zu wechseln. Falls sie diese Möglichkeit nicht nutzen, verfällt ihr Mandat. Solange führt der stellvertretende Premierminister übergangsweise die Regierungsgeschäfte. Die Parlamentarier müssen sich nun also neu gruppieren.

Die PAD hat nach der Entscheidung des Gerichts das Ende ihrer Proteste angekündigt und von einem Sieg gesprochen. Ist das angesichts der Parteineugründung gerechtfertigt?

Noch eine Stunde vor Bekanntgabe ihrer Entscheidung hieß es, dass die Proteste trotz des Verbots fortgesetzt werden sollen. Deshalb vermute ich, dass das Königshaus im Hintergrund starken Druck auf die PAD ausgeübt hat, um die Proteste zu beenden. Das Ende der Demonstrationen ist allerdings nur eine kurzfristige Lösung der Krise, die grundsätzlichen Probleme bleiben.

Die Krise in Thailand ist also noch nicht vorbei?

Das Urteil des Verfassungsgerichts hat die Krise nur oberflächlich entschärft. Erstens ist es ungewöhnlich, dass das Gericht innerhalb von sechs Wochen über ein Parteiauflösungsverfahren entscheidet. Eigentlich hatte man die Entscheidung erst im nächsten Jahr erwartet. Regierungsanhänger werten das Urteil deshalb als Intervention in die Politik, viele sprechen sogar von einem "Putsch" durch die Justiz.

Ist das Verfassungsgericht denn in seiner Entscheidungsfindung unabhängig?

Die Position des Verfassungsgerichts wird seit einiger Zeit in Teilen der Bevölkerung aus zwei Gründen in Zweifel gezogen: Zum ersten wegen der Ernennung der Richter. Sie folgt einem sehr komplexen Verfahren, allerdings mit eindeutigem Einfluss der Armee-Putschisten von 2006. Zweitens handelt es sich beim überwiegenden Teil der neun Richter um ausgewiesen Gegner des damals gestürzten Premierministers Thaksin Shinawatra und der Regierungspartei PPP. Der PPP musste deshalb eigentlich klar gewesen sein, dass sie aufgelöst werden wird.

Hinzu kommt, dass die geltende Verfassung während des Militärputsches in Kraft gesetzt wurde. In dieser Verfassung wurden die Bedeutung und Handlungsspielräume von Parteien erheblich eingeschränkt. So kann, wie nun geschehen, eine Partei verboten werden, wenn nur ein Führungsmitglied in Wahlfälschung verwickelt ist.



Für Außenstehende ist dieser Vorgang mehr als ungewöhnlich: Ein Gericht verbietet die regierende Partei und zwingt den Premierminister zum Rücktritt.

Die Regierung war den traditionellen Eliten des Landes immer ein Dorn im Auge. Dazu gehören die Mittelschicht, das Königshaus, Militär, einige Intellektuelle und Teile der Medien. Die Regierung stand seit ihrer Amtsübernahme im Februar zudem unter enormen Druck der unabhängigen Verfassungsorgane, die fast alle mit Thaksin-Gegnern besetzt sind. Bei den Straßenprotesten in den vergangen Wochen hat sich auch gezeigt, dass nicht einmal die Sicherheitsorgane der Regierung Gefolgschaft leisten: Zweimal wurde der Notstand ausgerufen, und beide Male haben Militär und Polizei nicht reagiert. Das heißt, die Regierung kann sich nur auf ihre umstrittene Mehrheit bei den Wahlen 2007 berufen, darüber hinaus hat sie keine Unterstützung durch die staatstragenden Institutionen.

Welche Teile der Bevölkerung haben die gestürzte Regierung unterstützt?

Die Regierung wurde von der Thaksin-Bewegung gebildet, die aus der 2006 verbotenen Partei Thai Rak Thai gegründet wurde. Unterstützung bekommt diese Bewegung von der armen Landbevölkerung, vor allem im Norden und Nordosten Thailands. Denn Thaksin war der erste Premier, der soziale Themen wie Gesundheitspolitik und finanzielle Hilfe für die ländlichen Regionen auf seine Agenda gesetzt hat. Zwar waren es populistische Programme, die er auf den Weg gebracht hat. Aber die ärmeren Menschen glauben, dass er etwas für sie getan hat.

Auf der anderen Seit ist die oppositionelle PAD eine sehr heterogene Gruppe, die Bangkoks Mittelschicht, Akademiker, Intellektuelle, das Militär, Gewerkschaften und das Königshaus umfasst. Zumindest die Königin hat in den vergangenen Wochen kein Geheimnis aus ihrer Unterstützung für die Opposition gemacht, der König hält sich noch zurück.



Worum kämpfen die beiden Gruppen? Welche Ziele verfolgen Regierungsgegner und -anhänger?

Meiner Einschätzung nach geht es in dem Konflikt um einen Machtkampf, um die Sicherung von Macht- und Wirtschaftsinteressen. Thailand befindet sich in einer Transformationsphase, in der eine neue Elite entstanden ist, die die Interessen der alten Elite gefährdet. In dem Land herrscht ein gewisses Patronagesystem, das Thaksin zwar nicht abschaffen, aber verändern wollte. Die alten Eliten haben deshalb Angst um ihren Einfluss. Thaksin hatte etwa durch die Berücksichtigung der Interessen der Landbevölkerung Prozesse in Gang gesetzt, die heute von diesen Eliten nicht mehr kontrolliert werden können. Die ländliche Bevölkerung hat durch Thaksins Wahlerfolg 2006 begriffen, dass sie mit Wahlen etwas verändern und von der Regierung bestimmte Leistungen einfordern können. Sie hat an Einfluss gewonnen. Das ist etwas Neues im politischen System Thailands. Dazu muss man allerdings auch erklären, dass Thaksin als Milliardär politische Programme aus privater Tasche finanzieren konnte, um sich Wählerstimmen zu sichern.

Das würde bedeuten, dass sich beide Seiten aufgrund ihrer unterschiedlichen Interessen unversöhnlich gegenüber stehen, weil bei einer Lösung eine Seite immer verlieren muss.

Kurzfristig lässt sich die Krise, wie jetzt geschehen, durch Verhandlungen und ein Eingreifen des Königshauses sicherlich lösen. Langfristig wird das aber ein sehr schwieriger Prozess, weil es um die Modernisierung des Landes geht. Bangkok ist eine sehr moderne Stadt, während auf dem Land Verhältnisse herrschen, die in Europa vor 100 Jahren üblich waren. Es kommen zurzeit in Thailand machtpolitische, wirtschaftliche und globalisierungstechnische Faktoren zusammen. Deshalb ist es keine Krise, die nicht über Nacht gelöst werden kann.

An der Spitze Thailands steht König Bhumibol Adulyadej, der als Stabilitätsgarant gilt und in allen Teilen der Bevölkerung hohes Ansehen genießt. Welche Rolle spielt er in dem Machtkampf?

Der König ist gesundheitlich angeschlagen. Er wird am 5. Dezember 81 Jahre alt. Das Königshaus ist ebenso wie Militär und Bürokraten in Sorge, wie es nach seinem Tod weitergehen könnte. Das befördert die Angst der alten Eliten also noch.

Angesichts dieser unversöhnlichen Positionen: Wie könnte eine Lösung der Krise aussehen?

Ein Weg aus der Krise ist derzeit nicht in Sicht. Die bisherige Regierung hatte sich in den vergangenen Wochen sehr kooperationsbereit gezeigt, indem sie etwa nicht gewaltsam gegen die Demonstranten vorgegangen ist. Auf der anderen Seite hatte sich die PAD jeden Tag angriffslustiger und kompromissloser präsentiert. Unter diesen Umständen kann wohl nur der König Druck auf die PAD ausüben, damit sie sich verhandlungsbereiter zeigt. Zwar sind derzeit auch Neuwahlen sehr wahrscheinlich. Doch bringen diese keine Lösung, solange sich die außerparlamentarische Opposition sich nicht an die Spielregeln hält. Es wäre sicherlich hilfreich für eine demokratische Lösung, wenn sich die PAD in eine politische Partei umwandelt und sich zur Wahl stellt. Aber das haben sie bislang relativ deutlich ausgeschlossen.



Für eine langfristige Lösung ist eine Grundsatzentscheidung der thailändischen Gesellschaft zugunsten demokratischer und rechtstaatlicher Prinzipien notwendig. Ansonsten wird das Land im Chaos versinken, zumal die PAD eine Vision von einem politischen System hat, das als nicht mehr wirklich demokratisch bezeichnet werden kann.

Am letzten Tag der Flughafenbesetzung gab es bereits einen Granatenangriff auf die Demonstranten, bei dem ein Mensch ums Leben kam. Wie groß ist die Gefahr, dass in Thailand ein Bürgerkrieg ausbricht?

Das ist wirklich sehr schwierig zu beurteilen. Eigentlich ist Thailand ein Land der Harmonie, Gewaltanwendung wird hier als Übel angesehen. Wenn die PAD wie versprochen die Proteste einstellt und die Straßen räumt, wäre die Gefahr wohl gebannt. Sollte sie allerdings den Konflikt wieder verschärfen - sie hat angekündigt, im Notfall wieder für das Volk auf die Straße zu gehen -, und sich nicht an die Spielregeln der demokratischen Verfassung halten, könnte man einen Bürgerkrieg nicht ausschließen. Denn das würden die Anhänger der gestürzten Regierungspartei nicht hinnehmen.

Würden Sie wegen der politischen Lage derzeit Touristen davon abraten, nach Thailand zu reisen?

Nein, aber sie sollten die Situation an den Flughäfen genau beobachten. Die meisten Touristen kommen ja nicht nach Bangkok, sondern in den Süden, an die Strände. Dort herrscht Frieden, die Region ist überhaupt nicht betroffen von dem Konflikt. Deshalb würde ich von einem Flug dorthin überhaupt nicht abraten.

Thailand ist wirtschaftlich sehr stark vom Tourismus abhängig. Welchen wirtschaftlichen Schaden hat die Krise angerichtet?

Im Moment, von Dezember bis Februar, haben wir eigentlich die Spitzensaison für Reisen nach Thailand. 40 Prozent aller Touristen kommen in diesem Zeitraum. Deshalb ist der wirtschaftliche Schaden bereits jetzt enorm. Hinzu kommt, dass über den internationalen Flughafen in Bangkok drei Prozent des gesamten Waren-Luftverkehrs abgewickelt werden. Durch die Ausfälle gibt es über eine Millionen Arbeitslose, deren Jobs vom Luftverkehr abhängig sind.

Mit Canan Atilgan sprach Till Schwarze

Quelle: ntv.de

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