"Einzigartige Ehre" Merkel spricht vor US-Kongress
30.10.2009, 09:53 UhrWas Adenauer, Schmidt und Brandt nicht durften, darf jetzt Angela Merkel: vor dem US-Kongress sprechen. Spricht sie dann auch über Afghanistan und das Klima?
In der fein abgestuften Skala der Ehrbezeugungen für Staatsgäste in Washington steht die Einladung zu einer Rede vor dem Kongress ganz oben. Das prachtvolle Zeremoniell im Kuppelbau des Kapitols wird nur ausgesuchten Würdenträgern zuteil. Am 3. November wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dort das Wort ergreifen - eine Ehre, die früheren Kanzlern wie Helmut Kohl, Helmut Schmidt oder Willy Brandt verwehrt geblieben war. Für Merkel ist es eine Chance, den Anstoß für eine Neubelebung des in Routine erstarrten deutsch-amerikanischen Verhältnisses zu geben.
Der große Sitzungssaal im Kapitol ist die Herzkammer der amerikanischen Demokratie, er wird die Kulisse für Merkels Rede abgeben. "Die Ehre, sich an eine gemeinsame Sitzung des Kongresses zu wenden, ist einzigartig", urteilt der US-Deutschlandexperte Jackson Janes, Direktor des Amerikanischen Instituts für Gegenwartsbezogene Deutschland-Studien (AICGS) in Washington. "Keinem anderen Kanzler wurde sie bislang zuteil." Zwar hatte Konrad Adenauer bereits 1957 in gesonderten Reden vor Repräsentantenhaus und Senat gesprochen, nicht aber auf einer protokollarisch höher angesiedelten gemeinsamen Sitzung beider Häuser.
Mehr deutsche Soldaten nach Afghanistan?

Verstehen sich gut, sind sich aber nicht immer einig: Barack Obama und Angela Merkel.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Nach den Reden des Gasts aus Bonn berichtete die "New York Times" damals anerkennend: "Kanzler Adenauer legte ein eloquentes Gelöbnis ab, dass Westdeutschland nie wieder in den Krieg ziehen wird." Mehr als 50 Jahre später wird das Thema Krieg erneut über der Rede eines Gasts aus Deutschland schweben, nur mit anderen Vorzeichen: Merkel wird mit dem Wunsch der USA umgehen müssen, dass Deutschland mehr Soldaten zum Einsatz nach Afghanistan abkommandieren soll. Parallel zu ihrem Besuch laufen im Weißen Haus die letzten Feinarbeiten an der neuen US-Strategie, die eine Aufstockung der Truppen vorsehen dürfte.
Für Merkels Rede im Kongress bieten sich historische Anknüpfungspunkte an, die den Symbolgehalt des Auftritts unterstreichen: Der Wunsch der USA nach deutschen Militärengagement zeigt, wie selbstverständlich die Bundesrepublik im Kontrast zu Adenauers Zeit inzwischen im westlichen Verteidigungssystem verankert ist. Dass die Kanzlerin ihre Rede außerdem sechs Tage vor dem 20. Jahrestag des Mauerfalls hält, wird ihr Gelegenheit zur Schilderung persönlicher Erinnerungen und zu Dankesbekundungen für die US-Unterstützung beim Einigungsprozess geben.
Lässt sie Westerwelle alleine stehen?

Nur ausgesuchte Gäste dürfen im prachtvollen Zeremoniell im Kuppelbau des Kapitols sprechen.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Beim Blick auf die Probleme der Gegenwart werden freilich auch widerstrebende Erwartungen deutlich. Der Kongress, auf dessen Einladung die "Klimakanzlerin" Merkel spricht, ist ebenjenes Gremium, das derzeit noch eine Wende der USA zum Klimaschutz blockiert. "Die Europäer, besonders die Deutschen, werden enttäuscht sein", prophezeit Experte Janes zur US-Klimapolitik. Von Washington hingegen sei steigender Druck in der Frage weiterer Soldaten für Afghanistan zu erwarten. Auch bei den Iran-Sanktionen und der Finanzmarktregulierung gingen die Einschätzungen auseinander.
Die Abgeordneten des Kongresses in Washington werden nicht Merkels einzige Adressaten sein. Die Rede der außenpolitisch versierten Kanzlerin dürfte sich auch nach Berlin richten, wo der neue Außenminister Guido Westerwelle seine Rolle erst noch bestimmen muss. Mit seiner Forderung nach einem Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland, die auch im Koalitionsvertrag verankert ist, hat sich Westerwelle weit aus dem Fenster gelehnt. In Washington hat der Vorstoß wenig Aussicht auf Erfolg. Mit Spannung wird also zu erwarten sein, ob Merkel diese Forderung in den USA öffentlich zur Sprache bringt - oder ob sie ihren neuen Außenminister mit dem Projekt alleine lässt.
Quelle: ntv.de, Peter Wütherich, AFP