Die SPD vor dem Parteitag Mit dem Rücken zur Wand
12.06.2009, 16:40 UhrEigentlich sollte auf dem SPD-Parteitag der Erfolg der Europawahl gefeiert werden. Die Wähler aber sorgen für lange Gesichter bei den Sozialdemokraten. Alle Hoffnungen ruhen nun auf Kanzlerkandidat Steinmeier.
Es war völlig anders geplant. Wenn sich die Sozialdemokraten am Sonntag wieder einmal im Berliner Estrel-Hotel zum Parteitag versammeln - diesmal um ein Wahlprogramm zu beschließen - sollten eigentlich Erfolgsmeldungen verkündet werden. Fest gebucht war, dass die Partei bei der Europawahl kräftig zulegen würde. Und der Kanzlerkandidat sollte sich als erfolgreicher Krisenmanager bei Opel und Arcandor in Szene setzen. Alles ganz die Voraussetzungen, um für den richtigen Rückenwind zur Bundestagswahl in gut 100 Tagen zu sorgen.
Doch damit haben sich die SPD-Strategen schwer getäuscht. Am vergangenen Sonntag erlebte die SPD ein einziges Wahldebakel. Der Nimbus von Parteichef Franz Müntefering als genialer Kampagnenmanager erlitt einen schweren Dämpfer. Auch die Wirtschaftskompetenz, an der Frank-Walter Steinmeier in den letzten Monaten mühsam gefeilt hatte, kam spätesten mit der Arcandor-Pleite schwer unter die Räder. Dies zeigt sich auch in Umfragen, wo der Herausforderer im Direktvergleich mit der CDU-Amtsinhaberin ständig an Punkten verliert.
Aussichtslose Lage
Derzeit sieht es so, als sei die älteste deutsche Partei in eine aussichtslose Lage geraten. Seit Steinmeier vor knapp acht Monaten im Estrel mit 95 Prozent Zustimmung zum Spitzenkandidaten gekürt und Müntefering zum zweiten Mal an die Spitze gehievt wurde, sind die erhofften Erfolgserlebnisse jedenfalls ausgeblieben. Die Landtagswahl Hessen ging krachend verloren, auch die Bundespräsidentenwahl wurde zur Niederlage. Und die SPD profitierte auch nicht davon, dass es die Führungsriege zumindest schaffte, den ständigen internen Flügelstreit bis auf weiteres zu beenden.
Mit einem möglichst kurzen und möglichst schmerzlosen Parteitag will die SPD nun aus der tiefen Ratlosigkeit herausfinden. Nach knapp sechs Stunden wird alles vorbei sein. Große Kontroversen über das Wahlprogramm dürfte es nicht geben. Auch die Parteilinke will darauf verzichten, schärfere Programmanträge wie die Einführung der Vermögensteuer doch noch durchzudrücken.
Steinmeier im Fokus
Alles soll sich dagegen auf die Rede Steinmeiers konzentrieren. Deswegen wurde die Parteitagsregie kurzfristig umgestellt. Zunächst sollte Müntefering erst nach dem Außenminister reden. Jetzt ist geplant, dass der Parteichef das Grußwort an die Delegierten übernimmt und Steinmeier erst danach spricht. Eher unwahrscheinlich ist, dass Müntefering rhetorisch voll aufdreht. Er wird seinem Nachredner nicht die Show stehlen wollen.
Denn trotz einigen Gegrummels hinter den Kulissen liegen die Hoffnungen des aktiven SPD-Parteivolks unverändert auf dem Spitzenmann. Doch bei seinem Auftritt mit dem Rücken zur Wand muss Steinmeier zeigen, ob er die Partei in ihrer tiefen Sinnkrise tatsächlich wieder aufrichten und ihr Mut und Zuversicht einhauchen kann. Vergleichsweise selten hat es der SPD-Spitzenmann geschafft, anders als sein Mentor Gerhard Schröder SPD-Säle leidenschaftlich zum Kochen zu bringen und unbedingten Machtwillen zu formulieren. Den Beweis für den eigenen Anspruch, er sei in unübersichtlichen oder aussichtslosen Situationen am besten, ist er bislang jedenfalls zu oft schuldig geblieben.
Als Kanzler alles anders machen
Mit viel Spannung wird erwartet, wie Steinmeier die immensen Erwartungen diesmal erfüllt. Von Beratern wurde ihm dringend nahegelegt, die Frontalattacken auf den "schwarzen Baron", Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), nicht zu übertreiben. Dies solle er besser anderen überlassen. Steinmeiers Hauptbotschaft für Sonntag müsse lauten: Er müsse klarmachen, was er als Kanzler anders machen werde als die Amtsinhaberin und was auf die Leute zukomme, wenn Schwarz-Gelb am 27. September eine Mehrheit erhalte.
Quelle: ntv.de, Joachim Schucht, dpa