Dossier

Wie bringt man Jugendliche in Jobs? "Motivation ist Knochenarbeit"

Das Angebot für Jugendliche muss passgenau sein.

Das Angebot für Jugendliche muss passgenau sein.

(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)

Arbeitsministerin von der Leyen hat Großes vor: Arbeitslosen Jugendlichen soll innerhalb von sechs Wochen ein Angebot gemacht werden. Sie will die Betroffenen fester an die Hand nehmen und erwartet "Knochenarbeit" von den Jobcenter-Mitarbeitern. Doch kann das funktionieren? Und wie sieht erfolgreiche Vermittlungsarbeit aus? Claus-Dieter Rückel muss es wissen. Er leitet die Arge Nürnberg. Seine Jugendabteilung gilt beim Arbeitsministerium als Vorbildprojekt für den neuen Weg.

n-tv.de: Herr Rückel, was machen Sie besser als andere Jobcenter?

Claus-Dieter Rückel: Das ist eine gern gestellte Frage. Wir haben für Jugendliche das sogenannte Dienstleistungszentrum U 25 eingerichtet. Darin sind neben dem Kerngeschäft der Arge auch sozialintegrative Dienste integriert: Schuldnerberatung, Kinderbetreuung und Suchtberatung, außerdem Berufsberatung und die Bafög-Stelle. Es gibt Hausversammlungen, alles wird gemeinsam besprochen. Auch einige nicht-staatliche Organisationen sind eingebunden, etwa der Jugend-Migrationsdienst. Das halten wir für einen Garanten des Erfolges. Und zwar, weil das Bild von staatlichen Institutionen wie der Schule in den Köpfen der Jugendlichen nicht sonderlich gut ist. Wenn sie aber sehen, es arbeiten alle zusammen, dann wirkt das positiv.

Wie äußert sich dieser Erfolg bei Ihnen in Zahlen?

Wir hatten in einer Vergleichsgruppe mit dreizehn großen Argen wie Hamburg, München und Köln in den letzten zwei Jahren die beste Integrationsquote, das heißt die meisten Vermittlungen in Arbeit oder Ausbildung im Verhältnis zu den betreuten Jugendlichen. Uns freut besonders die gute Quote bei der Vermittlung in Ausbildung, weil genau das Nachhaltigkeit bringt.

Machen Sie die "Knochenarbeit" schon, von der Ihre Ministerin spricht?

Dass Jugendliche in der Schule besser ausgebildet werden wollen, demonstrieren sie hin und wieder unübersehbar.

Dass Jugendliche in der Schule besser ausgebildet werden wollen, demonstrieren sie hin und wieder unübersehbar.

(Foto: picture alliance / dpa)

Wir haben spezielle Fachkräfte ausgebildet, die in einer ganz, ganz engen Kontaktdichte mit den Jugendlichen arbeiten und sie etwa bei Bewerbungen coachen. Da geht es dann auch wirklich vorwärts. Wenn man die Jugendlichen ein Mal in der Woche sieht, eine Beziehung aufbaut und etwa an der Motivation arbeitet, hat man auch Erfolg. Wenn Sie so wollen, ist das die angesprochene Knochenarbeit. Allerdings können wir das natürlich auch nicht für alle machen, dafür haben wir nicht die Ressourcen.

Ministerin von der Leyen will allen arbeitsfähigen Jugendlichen innerhalb von sechs Wochen ein Angebot machen …

Das klingt genial klug – und ist im Grunde auch richtig. Aber die Jugendlichen sind eigentlich schon überschwemmt mit Angeboten, die relativ verschult sind: Berufsberatung, Berufsvorbereitung, Grundausbildungsjahr, Orientierungsjahr. Auf gut Deutsch: Die haben die Schnauze voll. Wenn die nur was von Maßnahme hören, winken die schon ab. Es ist also nicht ein Angebot entscheidend, sondern das Angebot. Es muss passgenau sein und dem Jugendlichen wirklich was bringen – das ist die Kunst.

Und man kann diese Kunst nicht in sechs Wochen pressen…?

Wir könnten es dann in sechs Wochen pressen, wenn wir ein Mal in der Woche Kontakt zu dem Kunden hätten. Ist das nur alle vier Wochen der Fall, gelingt das nicht. Dann wird das nur ein Standard-Angebot, das häufig den Frust des Jugendlichen noch verstärkt. Wenn man also sagt, das soll man in sechs Wochen machen, dann muss man auch dafür sorgen, dass in der Zeit ein entsprechender Beziehungsaufbau überhaupt gelingen kann.

Haben Sie besonders viel Personal oder ein besonders hohes Budget angesichts Ihrer Nähe zur Bundesagentur, die ja auch in Nürnberg sitzt?

Wer erstmal abhängt, bleibt oft hängen.

Wer erstmal abhängt, bleibt oft hängen.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Nein, das haben wir nicht. Wir haben eben einen Schwerpunkt gelegt.

Medien spitzen immer gerne zu. Fernsehsender zeigen zu Unterhaltungszwecken gerne Sendungen über Jugendliche, die bocklos, alkoholabhängig, aggressiv und grundgenervt sind. Sehen Ihre Kunden tatsächlich so aus? Oder wer ist der durchschnittliche Klient?

Den durchschnittlichen Klienten in dem Bereich gibt es nicht. Das ist eine völlig heterogene Gruppe. Diejenigen, die Sie jetzt beschreiben, gibt es auch, das ist klar. Man muss aber auch bei denen Achtung haben vor dem, wie sie sind. Und es gibt ja auch Gründe, warum sie so geworden sind, ohne jetzt Schuldvorwürfe zu machen. Jemand, der in der Schule Schwierigkeiten hatte, einen ungünstigen Abschluss hat, keine Ausbildung bekommen hat, der ist eben relativ frustriert und genervt. Und wer dann noch nach der Schule in irgendwelchen Warteschleifen rumhängt und auch abhängt, verliert den Antrieb, wird passiv. Es ist die große Kunst, das wieder umzudrehen.

Was bringen die Jugendlichen außerdem für Probleme mit?

Der fehlende Schulabschluss ist meist nur das Tüpfelchen auf dem i. Dahinter verbirgt sich, dass die persönlichen und sozialen Kompetenzen zu einem großen Teil nur gering ausgeprägt sind. Es fehlt oft an Leistungsbereitschaft, Durchhaltevermögen, Lernbereitschaft und Belastbarkeit.

Von der Leyen spricht gerne von dem Bild, jemanden "an die Hand zu nehmen". Muss ich mir das in solchen Fällen fast wörtlich vorstellen?

Ja, das können Sie sich wörtlich vorstellen. Verschärfend kommt hinzu, dass die Betroffenen ganz häufig aus einem Haushalt stammen, in dem die oder der Ernährer das gleiche Problem haben mit Arbeitslosigkeit. Das wird gewissermaßen vererbt. Jemand, der lange Zeit arbeitslos ist, hat keine Kontakte mehr zu Menschen, die Arbeit haben. Es entsteht eine Art Mauer zur Arbeitswelt. In der Folge zerbrechen die Netzwerke – und die Eltern schaffen es nicht mehr, ihre Kinder selbst an die Hand zu nehmen.

Claus-Dieter Rückel ist Geschäftsführer der Arge Nürnberg.

Claus-Dieter Rückel ist Geschäftsführer der Arge Nürnberg.

Wie ist Ihr Eindruck von Maßnahmen wie dem berühmt-berüchtigten Bewerbungstraining? Kann man tatsächlich noch jemandem helfen, der Bewerbungen auf Butterbrotpapier schreibt?

Das sind jetzt wieder die ganz speziellen Kandidaten. Sowas kommt vor, aber es ist nicht die Regel. Wir haben bei dem Thema erkannt, dass es besser ist, wenn Jugendliche Jugendliche beraten. Also bilden wir Jugendliche aus, anderen Jugendlichen zu helfen. Das funktioniert wesentlich besser, weil es unschulisch ist und auf der Kumpel-Ebene läuft. Unsere Fachkräfte machen aber auch in kleinen Gruppen Bewerbungscoaching. Hier geht es aber nicht abstrakt zu, sondern es werden echte Bewerbungen erstellt. In der Kleingruppe wird zum Beispiel auch für das Vorstellungsgespräch geübt. Und das Feedback der anderen Jugendlichen wirkt viel besser als wenn unser Profi das bewertet. Sehen Sie, wenn ein Jugendlicher dem anderen sagt: "So, wie du da reingeschlurft kommst, würde ich dich auch nicht anstellen", da kommt was bei rum, weil die Akzeptanz viel größer ist. Wenn man stattdessen nur ein 08/15-Bewerbungstraining macht, kann man zwar ein Häkchen machen, aber okay …

Ums Häkchen geht es Ihnen aber nicht?

Mir geht es nicht ums Häkchen, nein.

Wenn Sie hinsichtlich der Arbeit mit arbeitlosen Jugendlichen einen Wunsch frei hätten an die Politik: Was wäre das?

Bitte keinen Jugendlichen mehr ohne gute Schulausbildung und einen Abschluss!

Haben Sie persönlich einen guten Job?

Einen sehr interessanten und sehr abwechslungsreichen. Aber man steht doch auch stark unter Strom.

Quelle: ntv.de, Mit Claus-Dieter Rückel sprach Jochen Müter

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen