"Die Demokratie nimmt Rache" Musharraf ist Wahlverlierer
19.02.2008, 17:37 UhrEin endgültiges Wahlergebnis war noch weit entfernt, da strömten Anhänger der Opposition in Pakistan schon auf die Straßen. Mit ausgelassenen Tänzen, mit Schüssen in die Luft und mit Süßigkeiten feierten sie nicht nur den klaren Sieg der Opposition, der in der Nacht zu Dienstag mit jeder Stunde mehr zur Gewissheit wurde. Sie freuten sich vor allem über das katastrophale Ergebnis der regierenden Pakistanischen Muslim-Liga (Quaid). Die Wahl wurde zu einer Abrechnung des Volkes mit jemandem, der gar nicht kandidiert hat: mit Präsident Pervez Musharraf. Die Zeitung "The News" titelte am Dienstag: "Die Demokratie nimmt Rache".
Demokratie sei die beste Rache, das hatte auch Oppositionsführerin Benazir Bhutto gesagt, bevor sie Ende Dezember bei einer Kundgebung getötet wurde. Der immer noch nicht aufgeklärte Mord an der charismatischen Politikerin bescherte ihrer Volkspartei PPP eine Sympathiewelle, die sie nun zum Wahlsieg trug. Die PPP ging als mit Abstand stärkste Partei aus der Parlamentswahl vom Montag hervor. An zweiter Stelle lag die Pakistanische Muslim-Liga (Nawaz) des Ex- Premierministers und Musharraf-Gegners Nawaz Sharif. Weit abgeschlagen auf dem dritten Platz landete Musharrafs PML-Q.
Nicht nur Musharraf, den die meisten Pakistaner trotz seiner öffentlichen Bekenntnisse zur Demokratie für einen Diktator halten, haben die Wähler die Rote Karte gezeigt. Sie haben auch das islamistische Parteienbündnis MMA abgestraft, die Extremisten sind fast gänzlich in der Bedeutungslosigkeit versunken. Und es gab nach Ansicht westlicher Beobachter noch weitere gute Nachrichten: Zum einen wurde die Abstimmung nicht zum befürchteten Blutbad. Zum anderen hat die PML-Q die Wahl zwar nach Ansicht ausländischer Experten manipuliert, ihr gelang das aber nicht in einem Ausmaße, dass der eigentliche Wählerwille sich am Ende nicht doch noch durchgesetzt hätte.
"Der Wählerwillen hat die Regierung abgewählt, und da schließe ich Musharraf mit ein", sagt ein westlicher Diplomat in Islamabad. Für den Ex-General, der sich 1999 an die Macht geputscht und sich im vergangenen Herbst noch vom alten Parlament für fünf Jahre im Präsidentenamt bestätigen ließ, sei das Ergebnis "eine deutliche Ohrfeige". Der Wählerwillen ist allerdings nicht so klar ausgefallen, dass die PPP eine absolute Mehrheit gewonnen hätte. Vertreter der beiden großen Oppositionsparteien PPP und PML-N - deren Anführer auch nicht als lupenreine Demokraten gelten - wollten bald Sondierungsgespräche aufnehmen. Vor einer möglichen Koalition müssten allerdings noch große Stolpersteine aus dem Weg geräumt werden.
Zu welcher Koalition es am Ende kommen mag: Fest steht, dass der nächste Premierminister aus der Opposition kommen und keine Marionette Musharrafs mehr sein wird. Der Präsident wird - anders als in den vergangenen gut acht Jahren - nicht mehr nach Gutdünken herrschen können. Seine Machtbasis erodiert. Nicht nur liegt die PML- Q, die Musharraf einst gründen ließ, demoralisiert am Boden. Seit er unter dem Druck der Opposition vom Amt des Armeechefs zurückgetreten ist, rücken die Streitkräfte von ihm ab. "Seine Tage sind endlich", sagt der Diplomat. "Ich gebe ihm nur noch Monate." Musharraf sei "zu einem Teil des Problems, zu einer verhassten Person" geworden.
Das Volk hat Musharraf nicht vergeben, dass er unabhängige Richter selbstherrlich durch Gefolgsleute ersetzte. Die steigenden Preise von Grundnahrungsmitteln haben die Menschen nicht minder gegen ihn aufgebracht. Dass der Präsident im Namen des Anti-Terror-Kampfes Soldaten befohlen hat, Landsleute und Glaubensbrüder zu töten, nehmen ihm ebenfalls zahlreiche Pakistaner übel - zudem die Ergebnisse dieses Kampfes ausgeblieben sind und die Zahl der Anschläge stetig zugenommen hat. "Die Nation steht vor unzähligen Problemen, und der Weg vor uns ist nicht leicht", schrieb "The News" am Dienstag, "aber unsere Reise nach vorne würde sehr viel einfacher werden, wenn Musharraf die Zeichen der Zeit erkennt und geht."
Von Can Merey, dpa
Quelle: ntv.de