"Die Probleme kommen automatisch" Özdemir fordert Islam-Gipfel
28.04.2010, 10:14 Uhr
n-tv Korrespondent Christian Wilp traf Cem Özdemir in Washington.
Grünen-Chef Cem Özdemir fordert eine globale Islam-Konferenz in Berlin. Özdemir, der in Washington an einer Wirtschatfskonferenz der USA mit Vertretern aus 40 islamischen Ländern teilnimmt, sagt im Interview mit n-tv.de, dass er sich Vergleichbares in Europa - und vor allem in Berlin - wünschen würde. Die Wahl der neuen CDU-Sozialministerin Aygül Özkan in Niedersachsen begrüßt der Grünen-Vorsitzende ausdrücklich. Er glaubt aber nicht, dass die CDU beim Thema Integration damit wird punkten können. "Solange sie einen Herrn Koch und viele andere in ihre Reihen hat, müssen wir uns als Grüne da wenig Gedanken machen."
n-tv.de: Herr Özdemir, Sie sind hier auf einer Islamkonferenz, mit der die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der islamischen Welt und den USA angekurbelt werden sollen. Was versprechen Sie sich von dieser Konferenz? Bringt das etwas?

Cem Özdemir ist der muslimische Parteichef in Deutschland.
Cem Özdemir: Es geht nicht primär um die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den USA und der islamischen Welt, sondern es geht ums Unternehmertum in der islamischen Welt. Bekanntermaßen hat man es in vielen Ländern damit zu tun, dass es so etwas schlicht nicht gibt: Der Staat ist Unternehmer, er kümmert sich um alles. Oftmals sind es Diktaturen, sind es Königsfamilien, die herrschen. Insofern ist das etwas relativ Neues. Es war eine kluge Entscheidung von Präsident Obama, den Dialog über ein solches Thema und nicht über Probleme zu beginnen. Denn zu den Problemen kommt man automatisch. In jedem Panel hat man gemerkt, es geht um das Thema Frauen, Zugang von Frauen zur Wirtschaft. Es geht um das Thema Bildung: Wie habe ich überhaupt die Chance, selbstständig zu werden? Und es geht natürlich um das Thema Korruption und das Thema Staat, der es eigentlich nicht wirklich möchte, dass seine Bürger sich selbstständig machen. Insofern ist es ein sehr eleganter Weg, Probleme anzusprechen.
Was können Sie als Deutscher dazu beitragen? Sie sind ja auch wegen Ihres eigenen Migrationshintergrunds eingeladen worden. Wie sehen Sie Ihre Rolle hier?
Erst einmal würde ich mir wünschen, dass wir in Europa etwas Vergleichbares auf die Beine stellen. Dass Europa oder Deutschland so eine Konferenz veranstaltet mit der islamischen Welt, in Berlin beispielsweise, wo wir mit den wichtigsten Aktiven sprechen könnten, die zuhause schon heute ihre Gesellschaften transformieren, sie verändern, sie öffnen und demokratisieren. Mit diesen Leuten brauchen wir einen intensiveren Austausch. Dass Obama das macht, find ich sehr schön - das ist nicht nur für die USA wichtig, sondern für den Westen insgesamt. Dabei merkt man, was sich verändert hat: Unter George W. Bush wäre solch eine Veranstaltung nicht denkbar gewesen. Nicht nur, weil er sie gar nicht erst initiiert hätte, sondern auch, weil viele Gäste nicht hätten kommen können. Man hätte sich diskreditiert. Obama hat seit seiner Kairo-Rede an die islamische Welt ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit. Das merkt man.
In Niedersachsen hat die CDU gerade mit Aygül Özkan eine junge Frau mit türkischem Hintergrund zur Sozialministerin gemacht? Läuft Ihnen die CDU beim Thema Integration den Rang ab?

Aygül Özkan ist die erste türkischstämmige Ministerin Deutschlands.
(Foto: dpa)
Da muss die Union noch viel machen. Solange sie einen Herrn Koch und viele andere in ihren Reihen hat, müssen wir uns als Grüne da wenig Gedanken machen. Die CDU ist gegen die Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union. Selbst wenn die Türkei alle Voraussetzungen erfüllt und obwohl wir dem Land das Versprechen auf eine Mitgliedschaft gegeben haben, will die CDU lieber vertragsbrüchig sein. Bei der Integration lautet die alles entscheidende Frage: Wie sieht es mit der Bildung aus? Trennen wir die Kinder nach der vierten Klasse entlang der Herkunft der Eltern in Hauptschule, Realschule, Gymnasium und Sonderschulen? Da ist die CDU in den meisten Ländern, auch in Niedersachsen, unbeweglich. Und das sind die Punkte, nach denen die Migranten die eine Partei wählen und die andere Partei nicht. Da hilft auch eine Ministerin, der ich auf diesem Wege viel Erfolg wünsche, nicht viel. Die Leute sind klug genug, das zu durchschauen, was die Partei für eine Politik macht.
Vor ihrer Vereidigung hat Frau Özkan eine Diskussion über Kruzifixe in deutschen Schulen entfacht. Was sagen Sie als Moslem dazu? Wie empfinden Sie diese Debatte?
Unter dem Gesichtspunkt des Säkularismus könnte man natürlich die Frage stellen, inwiefern das jetzt tatsächlich säkulare Symbole sind in einer staatlichen Schule. Aber ich finde, das ist nicht unsere erste, nicht einmal unsere zweite und auch nicht unsere dritte Priorität. Wir haben in Deutschland andere Themen, die gegenwärtig auf der Tagesordnung stehen. Ein Thema habe ich gerade genannt: Das Thema Bildungsgerechtigkeit. Wie schaffen wir es, dass alle Kinder unabhängig von ihrer Herkunft bestmöglich gefördert werden und Zugang finden zu den Hochschulen? Das ist ein wichtiges Thema. Da kann sich auch eine Ministerin profilieren. In der Sache selber finde ich manche der Reaktionen völlig unangemessen und überzogen. Da muss man sie, glaube ich, in Schutz nehmen. Man sollte ihr auch zugestehen, dass sie sich in ihrem Amt erst einmal zurechtfinden muss, was sicherlich nicht ganz einfach ist. Aber sie merkt jetzt: Sie ist nicht bei den Grünen. Sie ist bei der CDU, und da herrschen andere Sitten.
Was sagen Sie denn dazu, dass Ihre Monopolstellung verloren geht? Bislang waren Sie der einzige bekannte Politiker in Deutschland mit türkischem Hintergrund.
Ich freue mich darüber. Das ist ja genau das, was wir immer wollten. Wir als Grüne, ich als Cem Özdemir. Wir wollen ja, dass mehr Menschen mit Migrationshintergrund in der Gesellschaft für die Gesellschaft Politik machen. Damit zieht auch mehr Normalität ein. Das Gegenteil davon ist das Unnormale, nämlich dass Menschen mit Migrationshintergrund bei der CDU bislang praktisch nicht wahrnehmbar waren. Dass es jetzt eine Ministerin wird, ist ein gutes Zeichen für die Republik. Als Bundesbürger freue ich mich darüber. Aber die Union wird schon dafür sorgen, dass uns genug Angriffsfläche bleibt. Da gibt es ja, wie gesagt, Herrn Koch und andere, die uns immer wieder daran erinnern, wie das eigentliche Gesicht in der Union in der Frage Integration aussieht.
Zum Schluss aus aktuellem Anlass: Schwarz-Grün in Nordrhein-Westfalen - wäre das Ihre Wunschkonstellation? Rot-Grün hat ja, wie es aussieht, keine realistische Chance auf eine Mehrheit.
Sie werden es auch in Washington nicht schaffen, dass ich dazu etwas anderes sage als in Berlin oder Düsseldorf: Wir wollen starke Grüne. Am liebsten ist uns Rot-Grün. Das hätte ja auch was, mit Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann: zwei starke Frauen für Nordrhein-Westfalen. Damit es aber klappt, muss man die Grünen wählen mit der Zweitstimme. Dafür werben wir bis zum 9. Mai. Wenn das nicht klappt, was ich nicht hoffe, sind alle anderen Kombinationen außer Jamaika Zweitoptionen für uns.
Mit Cem Özdemir sprach n-tv Korrespondent Christian Wilp, Washington
Quelle: ntv.de