Dossier

"Die Sprache der Hamas" Palästinas Vorzeige-Christin

Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem

Die Sekretärin im 4. Stock des Nazzal-Gebäudes in Bethlehem rückt einen Blumenstrauß vor dem olivenholzgeschnitzten Abendmahl-Essemble a la Leonardo da Vinci zurecht. Männer in grauen Anzügen stehen Schlange, um der neuen Ministerin eine Pralinenschachtel zu überreichen, verpackt in zerrissenes rotes Papier. An der Wand hängt ein Jugendstil-Plakat mit einem stilisierten Tempelberg Jerusalems. "Visit Palestine" lockt das Poster ("Printed in Israel") aus einer Serie berühmter zionistischer Künstler der dreißiger Jahre.

"Es ist mein erster Tag im Amt", entschuldigt sich Dr. Khouloud Daibes. Sie sitzt unter Portraits der Präsidenten Jassir Arafat und Mahmoud Abbas. Neben ihr steht eine palästinensische Flagge. Am Sonntag wurde sie zur Tourismusministerin der Einheitsregierung unter Ministerpräsident Ismail Hanija ernannt. Sie gehört zu den wenigen parteilosen Technokraten unter den 25 Ministern der Hamas-dominierten Regierung und ist eine von zwei Frauen im Kabinett.

Nach 12 Jahren in Deutschland


Die gelernte Architektin, in Bethlehem geboren und auf Jerusalems Ölberg aufgewachsen, promovierte in Hannover über Denkmalschutz in Palästina. Die gut aussehende Katholikin ist 41 Jahre alt, Mutter von drei Kindern und mit einem Protestanten verheiratet. Nach 12 Jahren in Deutschland kehrte sie 1994 in die Heimat zurück, in der Hoffnung, den Staat aufzubauen. "Denkmalschutz und der Erhalt historischer Gebäude prägt unsere Identität", sagt sie in perfektem Deutsch.

"Ich war sehr erfolgreich, die Männer zu erziehen. Man muss eine Balance finden zwischen Stärke und Respekt, damit man durch die Arbeit ihren Respekt gewinnt. Fachkompetenz erleichtert und durch den Doktortitel erreicht man eine gewisse Anerkennung", sagt die Frau, die sich als Leiterin des Zentrums für Kulturerbe in Bethlehem in einer reinen Männergesellschaft durchgesetzt habe.

Es irritiert sie nicht, dass "Religionsfreiheit" im Regierungsprogramm fehlt: "Die Einigung auf ein Programm war nicht einfach. Die Zeit ist schwierig. Alle erkannten, dass sie zu einer gemeinsamen Sprache finden müssten. Religionsfreiheit ist auch drin, finde ich." Da sei die Rede von Respekt für den Anderen, Pluralismus und Dialog als Konzept. Religionsfreiheit sei immer schon auf der politischen Ebene gewährleistet gewesen. "Tatsache ist, dass Christen in der Regierung vertreten sind, durch meine Person."

"Wir sind der Überzeugung, dass das Regierungsprogramm der einzige Weg aus dem Dilemma heraus ist. Für mich ist es akzeptabel. Es ist eine Ausgangsposition. Damit können wir alle zusammenarbeiten, um aus der Isolation herauszukommen."

In den Grenzen von1967

Die Erwähnung "legitimen Widerstands", was in Israel und Europa als Terror verstanden, kontert sie mit den Worten: "Okkupation ist illegal und man hat das Recht auf Freiheit. In unserem Programm steht, dass man den palästinensischen Konflikt lösen will." Mahmoud Abbas habe die Vollmacht, über einen "palästinensischen Staat in den Gebieten von 1967" zu verhandeln, entsprechend der UN-Resolutionen und arabischer Resolutionen, "die auch das palästinensische Volk fördern".

Zu dem Streitpunkt, dass die Einheitsregierung bestehende Verträge mit Israel nur "respektiere" und nicht akzeptiere, sagt sie: "Von Israel bekommen wir gar nichts. Für uns hat Respekt einen hohen symbolischen Wert. Man respektiert seine Eltern. Ichtiran (Respekt) ist ein sehr starkes Wort. Ich denke, Israel spielt mit Worten. Die semantischen Spielereien müssen ein Ende haben. Israel will immer einen Grund haben, nicht zu verhandeln. Wenn sie einen Staat Palästina akzeptieren, warum ist der nicht zustande gekommen?" Die Frage, wieso denn die Palästinenser auf "semantischen Spielereien" bestehen und Israel mangels "Akzeptanz" der Verträge einen Vorwand für die Ablehnung liefern, bleibt unbeantwortet im Raum stehen.

Daibes lobt die "positive Sprache der Hamas, indem sie von einem Staat in den Grenzen von 1967 redet". Die gemäßigte Richtung innerhalb der Hamas sollte unterstützt werden, um negative Entwicklungen wie Extremismus oder die Ablehnung von Lösungen auszuschalten. "Es muss eine sofortige Entlastung für die Palästinenser geben, damit sie merken, dass dies der einzige Ausweg aus dieser Situation ist. Sonst werden die Hamas oder andere Fraktionen an Macht dazugewinnen. Die Extremisten müssen wir durch sofortiges Handeln eingrenzen."

Explosive Sicherheitslage

Angesprochen auf Jugendliche mit Sprengstoffjacken, die bei Nablus auf dem Weg zu einem Anschlag in Israel gefasst wurden, sagt sie: "Uns ist bewusst, dass die Sicherheitslage in den palästinensischen Gebieten explosiv ist. Das ist eine Priorität der Regierung. Es ist kompliziert und nicht einfach. Aber es gibt positive Zeichen, dass die Regierung und Abbas entschieden dagegen vorgehen wollen. Ich bin optimistisch."

Ihr neues Amt hält sie für sehr wichtig: "Der Tourismus und dieses Ministerium sind unsere Verbindung nach Außen. Wir können der Welt ein besseres Image von Palästina vermitteln." Sie will Palästina wieder auf die touristische Landkarte setzen. "Natürlich. Ohne politische Lösung ist es schwer, den Tourismus zu fördern. Wir hoffen auf die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft."

Quelle: ntv.de

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