Was sagen die anderen Pendelnd koalieren
05.11.2007, 20:32 UhrUnter Leitung von Bundeskanzlerin Angela Merkel sind die Spitzen der Großen Koalition im Berliner Kanzleramt zusammengekommen. Auf der Agenda standen Streitpunkte wie der Post-Mindestlohn, das Betreuungsgeld, die Pendlerpauschale, das Arbeitslosengeld I für Ältere oder die Privatisierung der Bahn. Endgültige Entscheidungen wurden nicht erwartet, aber eine Annäherung zwischen den Parteien.
Die Große Koalition hat keine Wahl und ist ohnehin "mangels realistischer Alternativen zur Zusammenarbeit verdammt", erklären die "Badischen Nachrichten" aus Karlsruhe. "Allen Meinungsunterschieden zum Trotz ist die Koalition noch lange nicht am Ende. Sie bewegt sich, wenn auch im Zeitlupentempo."
Ebenso kann der "Schwarzwälder Bote noch Leben im politischen Bündnis ausmachen: "Sie zappelt noch, diese von vielen im Geiste schon totgesagte große Koalition", so das Blattaus Oberndorf. "Man findet wieder zu sachlicher Atmosphäre. Handlungswillen beweist Schwarz-Rot mit der Reform der Erbschaftsteuer; allerdings folgt das Bündnis hier dem Ruf aus Karlsruhe. Die Koalition meldet sich zurück."
Auch die "Rhein-Neckar-Zeitung" aus Heidelberg erkennt in der Erbschaftssteuer eine "gute Nachricht für die vielen Erben kleiner Vermögen und Betriebe" und hält die Neuregelung für ein "reformerisches Glanzstück" - ganz im Gegensatz zur gescheiterten Bahn-Privatisierung und anderen ungeklärten Streitpunkten: "In den Hauptstreitpunkten Mindestlohn und Arbeitslosengeld I werden sich die zwei Lager der Großen Koalition auf Kompromisse einigen, mit denen beide ihr Gesicht wahren können. Bei der Pendler-Pauschale und der Online-Durchsuchung soll die Regierungs-Nebenstelle Karlsruhe die Kastanien aus dem Feuer holen."
Unter Vorbehalt kommentiert die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" die Koalitionsabsprachen: "Man soll den Tag nicht vor dem Abend und Koalitionsabsprachen nicht vor dem nächsten Gesprächstermin loben. Denn alles, was die Spitzen des großen Regierungsbündnisses zuletzt beschlossen haben, trägt den Stempel 'vorläufig'." Am deutlichsten werde dies bei der Pendlerpauschale. "Hier wurde ohne Rücksicht auf Verluste ein Beschluss gefasst, welcher der Kanzlerin, der entschiedensten Verteidigerin der Kürzung, entgegenkommt. Dass er Millionen Steuererklärungen in der Schwebe hält und dass er nach den Einlassungen des Bundesfinanzhofs allenfalls eine Fünfzig-zu-fünfzig-Chance hat, vom Bundesverfassungsgericht im Frühjahr gutgeheißen zu werden, zählt für den koalitionspolitischen Betrieb nicht."
Immer weiter hin und her
Noch kritischer beobachtet die "Märkische Oderzeitung" aus Frankfurt/Oder das Treffen der Koalitionsspitzen: "Nicht allein, dass es nicht mehr für einen großen Sprung reicht, selbst zu den von der Kanzlerin einst gepriesenen Tippelschritten braucht es die Aufbietung aller Kräfte." Die herbeigeredete, angebliche Annäherung zwischen SPD und Union nimmt das Blatt den Koalitionären nicht ab. "Konstruktive Zusammenarbeit sieht wahrlich anders aus."
Einen klaren Kurs kann auch der "Nordbayerischer Kurier" aus Bayreuth nicht erkennen: "Die Hin- und Herpendler der Koalition haben sich's doch wieder anders überlegt. Erst aufs Gaspedal, jetzt Vollbremsung. Weil man in der nächtlichen Koalitionsrunde festgestellt hat, dass das ja viel Geld kostet, welches man dem Steuerzahler an anderer Stelle wieder wegnehmen müsste, wenn der Kurs der Etatsanierung gehalten werden soll." Auch wenn die Argumente logisch klängen, dürfe man "sich getrost verschaukelt fühlen."
Die "Pforzheimer Zeitung" sieht das ganz ähnlich und spricht von einem "großen Koalitionstheater", einem "Warmlaufen für den Wahlkampf". Die SPD werde sich "als Retter des Sozialstaats und die Union als Bollwerk gegen den Linksruck im Land darstellen". Wenngleich Parteiinteressen von Anfang an die Koalitionsarbeit beherrscht hätten, könne man sich "wenigstens in dieser Beziehung auf diese Regierung verlassen."
Auch die "Berliner Morgenpost" bemängelt das Schielen nach den Wählerstimmen. "Fakt ist: Das Regieren ist seit der Sommerpause eingestellt worden. Die Parteien starren auf die Umfragen. Und alle sehen, dass Kurt Beck mit seinem Auftritt als Sozialonkel in den vergangenen Wochen mächtig zugelegt hat. Da stellt sich die einfache Frage: Will man das Richtige tun? Oder will man Wahlen gewinnen? Beides gleichzeitig funktioniert gerade offenbar nicht. Angesichts voller Kassen werden wir nun also den Wettbewerb erleben, wer großzügigere Wohltaten übers Volk streut, im schlimmsten Fall eineinhalb Jahre lang."
Koalition einig bei den Diäten
Doch angesichts der vollen Kassen will die Koalition nicht nur das Volk bedenken, sondern auch die Entschädigungen der Abgeordneten aufstocken will. Die "Märkischen Allgemeine" hält die Neuregelung für skandalös: "Die Abgeordneten-Diäten sollen steigen, und zwar kräftig. Insgesamt 660 Euro mehr pro Monat ist ein Aufschlag, über den sich mancher Arbeitnehmer freuen würde." Doch die Orientierung an den Gehältern von Bundesrichtern oder Bürgermeistern greift dem Potsdamer Blatt viel zu kurz: "Dieser Aufschlag wäre hinzunehmen, wenn sich die Koalitionäre an eine echte Reform der Altersbezüge gewagt hätten. Doch stattdessen wurde wieder nur innerhalb des bestehenden Systems herumgedoktert. Also heißt es weiter: Wer lange genug im Parlament gesessen hat, liegt dem Steuerzahler ein Leben lang auf der Tasche, ohne dafür jemals eingezahlt zu haben. Dass die Koalition nicht den Mumm hat, das zu ändern, ist der eigentliche Skandal."
Dagegen zeigen die "Kieler Nachrichten" Verständnis: "Den richtigen Zeitpunkt für eine Diätenerhöhung gibt es nicht. Fast alle Argumente, die genannt werden, um steigende Abgeordneteneinkünfte zu verhindern, gelten in jeder Phase der Konjunktur und Wahlperiode. Wer als Voraussetzung für eine Erhöhung die Zustimmung der Bevölkerungsmehrheit verlangt, müsste das Projekt folglich für alle Zeiten abblasen. Der öffentliche Druck hat bereits dazu geführt, dass die Di ätenerhöhungen in den vergangenen Jahren ausgeblieben sind und sich die Abgeordneten von den Bezügen der Bundesrichter, an denen sie sich eigentlich orientieren wollen, immer weiter entfernt haben."
Auch die "Ostthüringer Zeitung" aus Gera hat an der Diätenerhöhung eigentlich "nichts auszusetzen", hält jedoch die geplante Neuregelung der Alterbezüge für kritikwürdig: "Darin ist zwar vorgesehen, die üppigen Altersbezüge für Abgeordnete zu kürzen. Die Kappung fällt dabei allerdings so gering aus, dass man an der Ernsthaftigkeit des ganzen Vorhabens Zweifel bekommt. Eine echte Reform sähe anders, entschlossener aus. Niemand neidet Politikern eine angemessene Bezahlung. Solange es aber an der Rundumsorglos-Versorgung im Alter bleibt, dürfen sich die Abgeordneten nicht wundern, wenn jede noch so gerechtfertigte Diätenerhöhung auf Argwohn in der Öffentlichkeit stößt."
Quelle: ntv.de