Überbezahlt und machthungrig Politiker in Italien
02.07.2007, 12:01 UhrPolitiker lassen bündelweise Geld in ihren Taschen verschwinden, Minister verschaffen ihren Freunden regelmäßig gut bezahlte Jobs: Was sich anhört wie filmreife Vetternwirtschaft, scheint Alltag zu sein in Italien. Glaubt man dem Bestseller "Die Kaste", sind derartige Fälle von Amtsmissbrauch dort weit verbreitet. Auf 285 Seiten offenbaren sich den schockierten Italienern derzeit dutzende Beispiele für angebliche Korruption und Verschwendung in ihrem eigenen Land.
Seit der Veröffentlichung im Mai gingen bereits 465.000 Exemplare des Buches über den Ladentisch. "Sie (die Politiker) sind eine Kaste, die sich der Gesellschaft, der sie behaupten zu dienen, überlegen fühlt", schreiben die Autoren Gian Antonio Stella und Sergio Rizzo, zwei langjährige Redakteure von "Corriere della Sera", Italiens führender Tageszeitung.
"Die Kaste" porträtiert italienische Politiker als überbezahlte, machthungrige Elite, die das Geld ihrer Steuerzahler nur so aus dem Fenster wirft. Ein Beispiel: Im Amtssitz des italienischen Staatspräsidenten, dem Quirinalspalast, arbeiten 1.000 Menschen, und die Unterhaltskosten sind vier Mal so hoch wie die des Buckingham Palace in London. Aber nicht nur auf Landesebene sitzt das Geld locker. Im Jahr 2004 gab der Gouverneur von Kampanien, einer Region an der Westküste Italiens, knapp 900.000 Euro an Spesen aus. Nach Angaben der Autoren von "Die Kaste" ist dieser Betrag zwölf Mal so hoch wie der des deutschen Bundespräsidenten im Jahr 2006.
Doch es geht nicht nur um die Verschwendung von Steuergeldern. Stella und Rizzo behaupten auch, italienische Minister würden regelmäßig lukrative Stellen an Freunde vergeben, ungeachtet dessen, ob diese über die nötige Kompetenz verfügten. Beispielsweise habe der ehemalige Justizminister Roberto Castelli einem Freund eine Stelle als Berater für den Bau von Gefängnissen im Ausland verschafft. Der Vertrag belief sich auf knapp 200.000 Euro - und das, obwohl dieser Freund ein Fischhändler war. Castelli argumentiert, die Anstellung seines Bekannten habe frischen Wind gebracht. Ein Gericht ordnete trotzdem die Rückerstattung der Hälfte der Vertragssumme an.
"Republik der Unbestraften"
Der Bestseller zeigt keine rechten oder linken Tendenzen - eine Tatsache, die für ein hoch politisiertes Land wie Italien ungewöhnlich ist. Vielmehr weckt "Die Kaste" die Vorstellung, dass die zwei Blöcke - die sich sonst so gut wie nie einig sind - beide glauben, sie hätten keinerlei Konsequenzen zu fürchten. "Eine Demokratie, die zu einer 'Republik der Unbestraften' wird, ist ganz offensichtlich eine schlechte Demokratie", sagt der Politikwissenschaftler Giovanni Sartori. "Und Italien übertrifft alle anderen westlichen Demokratien darin, die zu belohnen, die es nicht verdienen."
Auch andere Demokratien werden von Korruptionsvorwürfen erschüttert. Aber dort treten die Beschuldigten eher zurück als in Italien, einem Land, das noch nie für die Redlichkeit seiner Politiker berühmt war. Der frühere Regierungschef Silvio Berlusconi wurde zwei Mal im Amt des Ministerpräsidenten bestätigt und ist damit der am längsten amtierende Regierungschef seit Kriegsende. Und das, obwohl er ständig der Korruption und der Interessenskonflikte beschuldigt wurde.
Es macht die Sache für die italienischen Politiker noch verzwickter, dass das Buch zu einem Zeitpunkt erschien, als man die Bevölkerung aufforderte, die Gürtel zum Wohl des Landes enger zu schnallen. Zudem waren viele Italiener schon desillusioniert durch die Skandale und Bissigkeiten im Machtkampf zwischen dem Mitte-Links-Block um Ministerpräsident Romano Prodi und der Opposition um den Konservativen Berlusconi.
"Ich hatte bereits ein wenig schmeichelhaftes Bild von Politikern. Nachdem ich das Buch gelesen und Fernsehsendungen gesehen habe, die darüber berichten, gibt es keine Zweifel mehr", sagt Lucia Cottura, eine 51-jährige Römerin. "Dies (Italien) ist kein ernst zu nehmendes Land und die Politiker werden zu sehr geschützt." Der Kabarettist Beppe Grillo legt noch nach: "Sie 'die Kaste' zu nennen ist ein Kompliment", schrieb er auf seiner Webseite. "Ihr Name ist Abschaum."
"Die Kaste" und die vielen Debatten, die der Bestseller hervorgerufen hat, haben Prodis Regierung zum Handeln gezwungen. Es wurde ein Arbeitskreis einberufen, der Gesetze erarbeiten soll, die unter anderem die Zahl der Berater einschränken und die Gehälter der Politiker kürzen sollen.
Seit das Buch erschienen ist, heizen jedoch noch weitere Vorwürfe die Korruptions-Diskussionen an. Erst vor kurzem wurde ein Senator heftig kritisiert, der einen etwas ungewöhnlichen Weg wählte, um beim Staatsbesuch von US-Präsident George W. Bush den Staus auf den Straßen Roms zu entgehen: Er nutze einen Rettungswagen als Taxi.
Quelle: ntv.de