Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit Politiker tagen, Bulldozer planieren
02.10.2009, 11:26 Uhr
Der Kleinbauer Chala Maldonado steht vor den Resten eines gerade erst gerodeten Naturwaldes in der argentinischen Provinz Chaco.
(Foto: dpa)
Kaum noch eine internationale Konferenz, auf der nicht der dringende Kampf gegen den Klimawandel beschworen würde. Wie weit Wunsch und Wirklichkeit dabei aber auseinanderklaffen können, zeigt sich derzeit in Argentinien. Während sich in der Hauptstadt Buenos Aires Politiker und Wissenschaftler auf der 9. UN-Wüstenkonferenz die Köpfe zerbrechen, wie der immer rasantere Verlust an wertvollen Böden und die Ausbreitung wüstenartiger Regionen noch zu stoppen wäre, walzen Bulldozer im Nordosten des Landes weiter ungestört Naturwälder nieder. Sie müssen Sojafeldern Platz machen, mit denen viel Geld zu verdienen ist. Ein Großteil der Soja-Ernte landet als Tierfutter in der EU.
Nur eine gute Flugstunde von Buenos Aires entfernt könnten die Konferenzteilnehmer das Krachen brechender Baumstämme hören, die von schwerem Gerät einfach zu langen Reihen zusammengeschoben werden. Edelhölzer wie Palo Santo (heiliges Holz), Quebracho und Algarrobo (Johannisbrotbaum), die mit tiefreichenden Wurzeln perfekt an das trockene Klima angepasst waren, alles wird als Teil eines riesigen Scheiterhaufens angezündet und brennt tagelang, bis nur noch Asche von einer der artenreichsten Regionen Südamerikas übrig ist. Tonnenweise entweicht Kohlendioxid, das in den Bäumen und Wurzeln gespeichert war, und nun die Erde weiter aufheizt. Auf etwa 280.000 Hektar schätzt Greenpeace die jährlich allein in Argentinien vernichteten Naturwälder, 70 Prozent davon entfallen auf die trockene Provinz Chaco.
Täter werden kaum belangt
Die Rodung ist hier eigentlich verboten, aber das stört niemanden wirklich. "Wenn wir die Polizei rufen, kommen die nicht etwa hier zum Tatort, sondern warnen den Großgrundbesitzer, damit der die zerstörten Bäume möglichst schnell verbrennt und die eigentlich fälligen Bußgelder nicht berechnet werden können", sagt Rolando Núñez vom Zentrum Mandela, einer Gruppe von Bürgern in der Provinzhauptstadt Resistencia, die gegen die Umweltzerstörung und soziales Elend in einer der ärmsten Provinzen des Landes kämpfen. Aber selbst wenn Bußgelder verhängt werden, müssen die Täter nur selten zahlen. "Die Beamten sind entweder faul oder bestochen, wahrscheinlich beides", sagt ein Kleinbauer, der seinen Namen aus Angst vor den mächtigen Sojabaronen nicht nennen möchte. Zweimal haben sie ihm in den vergangenen Monaten sein Moped geklaut. "Damit ich die Rodungen nicht mehr so gut dokumentieren kann", meint er.

Kaum einer stört sich an den illegalen Rodungen der Naturwälder. Die Polizei warnt die Großgrunsbesitzer oft, statt Bußgelder zu berechnen.
(Foto: dpa)
"Sie zerstören alles, und in meinem Leben werde ich hier sicher keinen Wald wieder sehen", stellt der Kleinbauer Chala Maldonado (51) bitter fest. Er steht auf einem erst vor wenigen Tagen gerodeten Boden, das Bild der Zerstörung erstreckt sich in der flachen Landschaft bis zum fernen Horizont, kilometerweit, tausende Hektar. Bald werden hier satellitengesteuerte Traktoren Soja säen und Bewässerungssysteme das wenige Wasser der regionalen Flüsse verbrauchen. Das Klima wird unterdessen immer extremer. Bis zu 50 Grad im Schatten und 70 Grad in der Sonne zeigt das Thermometer im Sommer. Die für die Region üblichen seltenen aber heftigen Regenfälle können von den nackten Böden nicht mehr gehalten werden und lösen schwere Überschwemmungen aus.
Ureinwohner am stärksten betroffen
Der nun der sengenden Sonne schutzlos ausgesetzte Boden ist schon stark ausgetrocknet, und der heiße Wind bläst riesige Staubwolken vor sich her. Pflanzengifte werden von Flugzeugen aus versprüht. "Meine kleinen Felder sind schon ganz von Soja eingekreist, und regelmäßig rieseln die Gifte auch auf meine Pflanzen nieder, die dann alle verdorren", beklagt sich Chala. Der hünenhafte Mann, Vater von neun Kindern, liebt die Landwirtschaft, betreibt im Schutz des Blätterdaches der Naturwälder eine extensive Weidewirtschaft und ein wenig Ackerbau. Seine 120 Hektar Land will er nicht verkaufen, obwohl ihm die Soja-Herren schon mal 1000 Pesos (180 Euro) pro Hektar geboten haben.
Früher war Urwald "Supermarkt" für Einwohner
Viele andere Kleinbauern haben verkauft, sind in die nächste Stadt gezogen und haben den Erlös ihrer Felder dort meist schnell wieder verloren. "Die meisten leben jetzt mehr recht als schlecht von gelegentlichen Jobs und staatlichen Lebensmittelpaketen", weiß Chala. Am stärksten betroffen sind die Ureinwohner, im Chaco vor allem die Toba und die Wichi. "Für sie war der Wald wie ein Supermarkt, sie jagten dort und sammelten Früchte und Wurzeln", erzählt Núñez, der sich seit 1987 um die Indios kümmert.
Unterernährung, Umweltgifte und Krankheiten wie Dengue und Tuberkulose schwächen die Menschen immer weiter. "Als Ethnie werden die Toba und Wichi diesen Kahlschlag vermutlich nicht überleben, ihre Sprache und Kultur werden bald verloren gehen", stellt Núñez schonungslos fest. Auf die Gefährdung von Mensch und Umwelt oder gar das Weltklima nehmen die Sojabauern jedoch keine erkennbare Rücksicht. Oder vielleicht doch: Seit kurzem sind die Planierraupen mit Schalldämpfern ausgerüstet. Damit Umweltschützer wie Núñez und Bauern wie Chala nichts merken vom Raubbau an der Natur.
Quelle: ntv.de, Jan-Uwe Ronneburger, dpa