Umstrittener Gedenktag Proteste gegen Sarkozy
22.10.2007, 19:24 UhrFür Frankreichs Präsident Sarkozy hat sich der Gedenktag für einen 1941 von den Nationalsozialisten getöteten jugendlichen Kommunisten zu einem Protest-Tag gegen seine Person gewandelt. Sarkozy wollte durchsetzen, dass der Abschiedsbrief des 17-jährigen Guy Mquet an seine Familie in Zukunft jährlich am 22. Oktober vor den Schülern der Oberstufe zu verlesen ist. Doch Sarkozy hatte nicht damit gerechnet, dass zahlreiche Lehrer und Schüler diese Idee als "staatlich verordnete Geschichtsinterpretation" verstehen.
Guy Mquet war am 22. Oktober 1941 zusammen mit 26 weiteren Geiseln von den Deutschen in Frankreich erschossen worden. Die Massenhinrichtung war eine Vergeltungsaktion nach einem Anschlag auf einen deutschen Offizier in Nantes.
Mit der Würdigung des jungen Kommunisten wollte Sarkozy die positive Seite der französischen Geschichte im Zweiten Weltkrieg betonen, erläuterte der französische Historiker Max Gallo in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".
"Stolz auf Frankreich"
"Nach einer Periode, die mit der Rede Jacques Chiracs am 16. Juli 1995 über die Mitschuld des französischen Staates an der Judenverfolgung begann, soll das Gleichgewicht wiederhergestellt werden", so Gallo, der Sarkozys Initiative unterstützt. "Wir können aus dieser Zeit nicht nur Vichy behalten und die Rsistance ausklammern. Frankreich war nicht nur, aber es war auch eine Nation von Widerstandskämpfern. Das Ziel ist im Grunde zu sagen, dass wir stolz auf Frankreich sein können."
Bereits im Wahlkampf war Sarkozy mit Bemerkungen aufgefallen, die in diese Richtung zielten. Bei Wahlkampfveranstaltungen und in einem Interview hatte er gesagt, Frankreich brauche "vor seiner Geschichte nicht zu erröten". Sein Land habe weder "einen Völkermord begangen" noch "die Endlösung erfunden". Am Tag seiner Amtseinführung ließ Sarkozy Mquets Brief an einem Rsistance-Denkmal von einer 17 Jahre alten Oberschülerin verlesen. "Ein 17-Jähriger, der sein Leben für Frankreich gibt, ist ein Beispiel für die Vergangenheit und für die Zukunft", sagte er damals.
Kritiker werfen Sarkozy vor, die französische Geschichte lediglich zu instrumentalisieren. Zahlreiche Lehrer weigerten sich, den Brief vorzulesen. Sarkozy sagte aus Sorge vor Protesten seine Teilnahme an einer Gedenkveranstaltung an einer Pariser Schule kurzfristig ab.
Komplizierte Geschichte
Tatsächlich ist fraglich, ob der junge Kommunist sich als Werbeträger für französischen Nationalstolz eignet. Guy Mquet war im Oktober 1940 von den französischen Behörden verhaftet worden, weil er in Paris kommunistische Flugblätter verteilt hatte. Damals galt noch der Hitler-Stalin-Pakt, der auf Weisung aus Moskau auch von der französischen KP unterstützt wurde, die daraufhin in Frankreich verboten worden war. Als Mquet verhaftet wurde, gehörte er demnach keineswegs der Rsistance an.
Zudem wurde Mquet 1941 von den kollaborierenden Vichy-Behörden an die deutschen Besatzer ausgeliefert - eine Tatsache, die Premierminister Franois Fillon ganz im Gegensatz zu Präsident Sarkozy nicht verschwieg. Fillon betonte bei der offiziellen Gedenkveranstaltung der Regierung, das Schicksal Mquets sei auch ein Symbol für die Mitschuld Frankreichs an den Verbrechen der Deutschen: "Das Vichy-Regime verhandelte, paktierte und kollaborierte mit dem Nazi-Regime", sagte er. Mquet sei für seine Überzeugungen erschossen worden, die er über sein eigenes Leben gestellt habe. "Er war Kommunist, andere (Märtyrer) waren Gaullisten, manche waren rechts, andere waren links, alle waren Patrioten."
Diese Vereinnahmung eines Kommunisten durch die konservative Regierung kritisieren wiederum viele Linke. Sie haben nicht vergessen, dass Sarkozy nach seinem Amtsantritt bereits durch Postenvergabe versuchte, seinen Anspruch zu untermauern, Präsident des ganzen Frankreich zu sein. So wurde mit Bernard Kouchner ein Vertreter der Linken Außenminister, gleiches gilt für den Europaminister.
Minister werden ausgepfiffen
Sarkozy ging zwar selbst nicht zu einer Gedenklesung, schickte aber mehrere Mitglieder seines Kabinetts. Justizministerin Rachida Dati wurde in Villejuif bei Paris ausgepfiffen. Bildungsminister Xavier Darcos musste den Brief an einer Schule in Prigueux selbst verlesen, weil die Lehrer sich weigerten. Ihm scholl entgegen: "Darcos und Sarkozy: Eure Werte sind nicht die von Guy Mquet!" Darcos sagte, er verstehe den Streit nicht. Die Initiative habe "einen pädagogischen Hintergrund, keinen politischen".
Zum Boykott hatte die Lehrergewerkschaft SNES aufgerufen. Es handele sich um eine "allein vom Staatschef verordnete Geschichtsinterpretation des 22. Oktobers" und eine "Instrumentalisierung der Erinnerungspflicht". "Man muss wissen, welchem Herrn wir dienen: dem Wissen oder der Macht", so die Gewerkschaft. Der konservative Lehrerbund SNALC meldete lediglich Bedenken an. Manche Lehrer ließen den Text still lesen, andere stellten weitere Texte daneben oder folgten dem Boykott. Die Regierung erklärte, in den meisten Klassen laufe "alles normal". Sanktionen für Lehrer, die sich am Boykott beteiligten, soll es nicht geben.
Das Verlesen des Mquet-Briefes stand bereits während der Rugby-Weltmeisterschaft in Frankreich unter keinem guten Stern: Bernard Laporte, der Trainer der französischen Rugby-Nationalmannschaft, ließ den Brief vor dem Auftaktspiel gegen Argentinien zur moralischen Erbauung vortragen. Das Spiel endete mit einer peinlichen Niederlage, die WM für Frankreich mit dem vierten Platz. Für Laporte halb so wild: Zwei Tage nach der WM machte Sarkozy seinen Freund zum neuen Sportminister.
Quelle: ntv.de, ap/dpa