Russland vor der Wahl Putin entwirft Feindbilder
27.11.2007, 17:05 UhrOppositionelle als Schakale, Rachegelüste gieriger Oligarchen und Muskelspiele der NATO - vor der Dumawahl am Sonntag hat Kremlchef Wladimir Putin zum Angriff auf alle vermeintlichen "Feinde Russlands" geblasen. Der Spitzenkandidat der Kremlpartei Geeintes Russland zündete ein Feuerwerk von Bedrohungsszenarien, das sogar die selbstbewusste Elite des Landes verunsichert. Der Radiosender "Echo Moskwy" stellte seinen Hörern gleich die provokante Frage: "Wozu braucht Putin die Feinde?". Es folgte eine Welle an Reaktionen.
Viele Hörer stellten Vermutungen an, wen Putin meint, wenn er von Rachegelüsten "einflussreicher Kräfte aus den 1990er Jahren" fabuliert. "Viele Politiker aus jener Zeit sind doch noch im Umfeld Putins an der Macht", bemerkt der Hörer und Arzt Dmitri Resnikow.
Bedrohungsszenarien als Ablenkung
Ein anderer Hörer, der Programmierer Wladimir aus Woronesch, sieht die Bedrohungsszenarien als Versuch Putins, von inneren Problemen abzulenken. Unter Regierungskritikern herrscht seit langem der Verdacht, dass Putin in Wahrheit die Kontrolle über seine machthungrige Umgebung und den gesamten Staatsapparat verliert. Die jüngsten Verhaftungen eines Geheimdienstgenerals und eines Vize- Finanzministers seien Hinweise darauf, heißt es in Moskau.
Die Opposition traf es nach Putins Tiraden gegen seine Gegner postwendend. Am Wochenende nahm die Polizei führende Liberale vorübergehend fest. Der Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow wurde nach einer verbotenen Kundgebung zu fünf Tagen Gefängnis verurteilt.
Auch Putins Ton gegenüber dem Ausland wird immer gereizter. Von "realen Bedrohungen" und "Muskelspielen der NATO an der russischen Grenze" sprach er vor Generälen. In Moskau fragt sich mancher, wovor sich ein Land mit tausenden Atomraketen und einem als höchst populär geltenden Präsidenten heute fürchten sollte.
Der Soziologe Georgi Satarow verweist auf Putins kometenhaften Aufstieg in die Politik in den 1990er Jahren, ermöglicht durch die damalige Elite. "Putin ist ein Kunstprodukt. Das betrifft seinen Aufstieg zur Macht ebenso wie seine Arbeit als Präsident und seine Popularitätswerte in der Bevölkerung", sagt der Korruptionsbekämpfer.
Nach Einschätzung Satarows blickt Putin mit wachsender Unruhe auf das Ende seiner Amtszeit im Frühjahr 2008. Bis heute habe der Kremlchef sich nicht entscheiden können, wen er den Wählern als seinen Nachfolger empfehlen soll. In Moskau hat sich kremlkritischen Experten zufolge ein gefährliches "Machtvakuum" gebildet.
Wiederkehr des Wortes Feind
Die Repräsentanten der Macht halten dagegen. "Ich kann nicht erkennen, dass Putin vor irgendetwas Angst hat", sagt der Politologe Gleb Pawlowski. Auch die Wiederkehr des Wortes "Wrag" (Feind) in die Sprache der Macht hält er für nebensächlich. Das sei doch eine übliche Formulierung für einen Konkurrenten, erklärt Pawlowski. Russlands Liberale treibt dies zur Weißglut: Im Stalinistischen Terror, dessen Aufarbeitung unter Putin weitgehend eingestellt wurde, starben ungezählte angebliche Feinde des Volkes in Straflagern, nachdem sie von Nachbarn oder Kollegen denunziert worden waren.
Kremlnahe Lobbyisten präsentieren derweil in Moskau das Buch "Die Feinde Putins". Darin werden neben den üblichen Verdächtigen wie dem im Exil lebenden Oligarchen Boris Beresowski und dem verurteilten Ex- Ölmagnaten Michail Chodorkowski auch Journalisten von "Echo Moskwy" an den Pranger gestellt. Selbst innerhalb der Kremlpartei Geeintes Russland gebe es "Feinde", schreiben die Autoren. Auch das erinnert kritische Geister an den Stalinterror.
"Jedes Mittel erlaubt"
Einer der einflussreichsten Politiker im Umfeld Putins, Vize- Regierungschef Dmitri Medwedew, tut die Aufregung als Wahlkampf- Propaganda ab. Es gehe darum, eine hohe Wahlbeteiligung zu erzielen. "Und da ist doch eigentlich jedes Mittel erlaubt", sagt Medwedew, der bislang als aussichtsreicher Putin-Nachfolger galt.
Seit einiger Zeit läuft eine landesweite Kampagne zur Unterstützung des "nationalen Führers" Putin, womit die Dumawahl nach Ansicht von Experten zu einem Referendum wird. Putin selbst hat angekündigt, weiter Einfluss auf die Politik zu nehmen. Wie das geschehen soll, weiß außerhalb des Kremls bislang offenbar niemand.
Von Stefan Voß, dpa
Quelle: ntv.de