"Die unfairste Wahl" Putins Sieg in der Presse
03.12.2007, 10:54 UhrAls undemokratischen "Schwindel", Wiedererwachen alter Macht und "Blankoscheck" für Putin kommentiert die internationale Presse den Wahlausgang in Russland. Erst nach der Präsidentenwahl 2008 werde sich jedoch die zukünftige Richtung Russlands zeigen.
Als "unfairste Wahl seit dem Ende des Kommunismus" beschreibt die liberale dänische Tageszeitung "Politiken" den Wahlsieg Putins:
"Wie erwartet fuhr Präsident Wladimir Putin einen überwältigenden Wahlsieg ein. Schon vorher hatte er gesagt, dass ihm dies das 'moralische Recht' geben würde, weiter den Kurs des Landes zu bestimmen. (...) Hinterher sprach er von Feststimmung. Die aber hatte eine hässliche Kehrseite. Weder der Wahlkampf noch die Wahlen verdienten diese Bezeichnungen. Es war die unfairste Wahl seit dem Fall des Kommunismus. Der Staat missbrauchte seine Macht in den Medien. Alternative Stimmen wurden unterdrückt. (...) Wenn der Westen sich nicht scharf von dieser historischen Wahlmanipulation distanziert, die man am besten Schwindel nennt, würde das unsere eigenen Demokratien beschmutzen. Und wir würden die Russen im Stich lassen, die die Hoffnung auf Demokratie in ihrem Land nicht begraben haben."
Den vorhersehbaren Wahlerfolg Putins kritisiert die spanische Zeitung "El Peridico de Catalunya" aus Barcelona:
"Zu den Grundlagen der Demokratie gehört, dass der Ausgang einer Wahl offen ist, auch wenn das Resultat vorhersehbar ist. In Russland war diese Voraussetzung nicht gegeben. Der Sieg der Partei Geeintes Russland von Präsident Wladimir Putin stand bereits fest, bevor die Wähler ihre Stimmzettel abgaben. Die Opposition ist schwach und zerstritten. Sie hat zudem keine Medien, in denen sie ihre Stimme erheben kann. Das Geeinte Russland wird im Parlament über eine ausreichende Mehrheit verfügen, um die Verfassung zu ändern und Putins Macht auf Dauer zu sichern. Offen ist nur, ob der Präsident persönlich im Amt bleiben oder einen Strohmann einschalten wird."
Einen "Blankoscheck" nennt die "Neue Zürcher Zeitung" den Wahlsieg Putins:
"Einigermaßen verwunderlich bleibt, weshalb Präsident Putin selber und das Heer seiner Propagandisten in den letzten Wochen so nervös und aggressiv auf jede Art von Kritik oder Gegenposition zur Kreml-Politik reagiert haben. (...) Nach den Duma-Wahlen muss sich in den nächsten Wochen zeigen, wie Putin mit dem Blankoscheck, den er sich bei diesem Urnengang von der Wählermehrheit im Hinblick auf die realpolitisch ungleich gewichtigere Präsidentenwahl vom 2. März ausstellen ließ, nun umgehen wird. Vielleicht hängt die Nervosität und Gereiztheit im Kreml während der Schlussphase des Duma-Wahlkampfes auch damit zusammen, dass das weitere Szenario zur Präsidentenwahl intern noch keineswegs geklärt ist."
Die liberale rumänische Tageszeitung "Evenimentul Zilei" beschreibt das Scheitern westlicher Rezepte im Umgang mit Russland:
"Wahlen und Marktwirtschaft wurden als Zeichen der Genesung betrachtet und Wladimir Putins eiserne Hand als notwendige Phase beim Übergang vom postkommunistischen Chaos zur liberalen Demokratie. Russland zerstört aber viele Mythen der Demokratie und bestätigt das Scheitern westlicher Rezepte und Raster, die auf viele Transformationsländer angewandt wurden. (...) Das Wirtschaftswachstum, das bei weitem kein Motor für demokratischen Wandel war, hat die Macht des opressiven Regimes in Moskau verstärkt. In Russland ist das traditionelle autoritaristische Modell mit kapitalistischen Mitteln restauriert worden, und die Russen scheinen damit zufrieden zu sein."
Trotz seines Wahlsieges dürfe sich Putin nicht sicher fühlen, schreibt der "Tages-Anzeiger" aus Zürich:
"Es gibt kaum Zweifel, dass der Staatschef dieses Resultat als Vertrauensvotum auslegen wird - und damit seinen Verbleib an der Macht rechtfertigt. Wenn er ab kommendem Frühjahr nicht mehr Präsident sein darf, wird sich schon eine Funktion für ihn finden. Sei es nun die des Premiers, des Parlamentschefs oder eines 'nationalen Führers'. Doch Putins Sieg ist ein falscher Sieg. Die Manipulationsvorwürfe der Opposition legen sich wie ein Schatten auf das Wahlresultat. (...) Vor einer Orangen Revolution nach ukrainischem Vorbild braucht Putin keine Angst zu haben. Doch allzu sicher sollte er sich dennoch nicht fühlen. Denn eine Regierung, die sich ihre Legitimation mit undemokratischen Mitteln holen muss, sitzt nicht so fest im Sattel, wie es Wahlresultate vermuten lassen."
Als Wiedererwachen des Mythos von der russischen Macht kommentiert die römische Tageszeitung "La Repubblica" die Parlamentswahl:
"Was dem russischen Staatschef Wladimir Putin in seinen Jahren im Kreml in der Tat gelungen ist - er hat den Mythos von der russischen Macht wiederaufleben lassen, den Mythos aus der Zeit vor Russlands Revolution und vor der Sowjetunion. Die Russen spürten das Bedürfnis nach einem Wiedererwachen dieses Mythos, um die Erniedrigungen zu vergessen, die der Zusammenbruch des Sowjetreiches und dann jene wirren Jahre unter Boris Jelzin mit sich gebracht haben. Und Wladimir Putin hat ihn wiedererweckt."
Als Vorspiel zur Präsidentenwahl 2008 interpretiert der Mailänder "Corriere della Sera" den Wahlsieg Putins:
"Wladimir Putin kann also einen Wahltriumph verbuchen, der auf eine echte Zustimmung zurückgeht, aber auch auf eine überzogen eingesetzte Autorität. Und damit beginnt in Russland jetzt die eigentliche Partie um die Macht. Denn eben dieser Kremlchef hatte die Parlamentswahlen am Sonntag in die erste Runde der russischen Präsidentenkür vom März 2008 umgemünzt, wohl wissend, dass er bald den Sessel wechseln muss. Ein plebiszitäres Mandat sollte ihm also das 'moralische Recht' garantieren, der Spitzenmann zu bleiben, auch ohne Präsident zu sein. Und die Russen haben, die Anschuldigungen der Wahlmanipulationen einmal außen vor gelassen, dieses bejaht."
Die Rolle Putins und seine zukünftige Strategie kommentiert die liberale Wiener Zeitung "Der Standard":
"Wird der Kreml-Chef seinen Worten auch entsprechende Taten folgen lassen, nachdem er sich aus dem Präsidentenamt verabschiedet hat? Sollte er sich entscheiden, seinen enormen verbleibenden Einfluss über die Partei Geeintes Russland (mit ihrer unvermeidlichen Mehrheit im neu gewählten Parlament) auszuleben, werden wir wissen, dass er durchaus meint, was er sagt. Wenn er sich jedoch nach seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt zum Ministerpräsidenten ernennen lässt und die Verfassung umgeht, um die Machtbefugnisse vom Präsidenten zum Ministerpräsidenten zu transferieren, werden wir wissen, dass er in Wirklichkeit nur persönliche Macht anstrebt. Eine Schwächung des Präsidentenamtes als Russlands einzige mit politischer Legitimität ausgestattete Institution, würde allerdings den Weg ins Chaos ebnen. Die Gewohnheit, für den Machterhalt die Spielregeln zu ändern, würde auch nach dem Abgang des starken Mannes erhalten bleiben, die oberflächliche Stabilität seiner Herrschaft aber nicht."
Auf den Zusammenhang zwischen russischer Politik und russischen Erdgaslieferungen zielt die rechtsliberale bulgarische Zeitung "Dnewnik":
"Russische und westliche Beobachter konnten am Sonntag ihren Schock nicht verbergen, in dem sie der totale Druck der Verwaltung Putins auf die Abstimmung in dem riesigen Land versetzt hatte. Er wurde so transparent und offen ausgeübt, dass man sagen könnte, Putin habe sein Versprechen für Ehrlichkeit eingehalten. Es ist ja nicht sein Problem, wenn sich Andere etwas Anderes vorgestellt hatten, wahrscheinlich wie die europäischen Führer, die sich ganz in einer Fantasie-Welt mit ihrem Wunsch befinden, russisches Erdgas zu beziehen, ohne dass mit ihm in der Röhre auch der politische Kurs von Putin fließt."
Quelle: ntv.de