Bütikofers Platz ist frei Ratzmann oder Özdemir
15.06.2008, 17:29 UhrJung, männlich und Realo: So lautete das inoffizielle Anforderungsprofil für den Spitzenposten in der Grünen-Bundespartei. Seit der Vorsitzende Reinhard Bütikofer (55) im März den Verzicht auf eine erneute Kandidatur nach drei Amtsperioden ankündigte, taten die jungen Herren sich allerdings schwer. Auf Anhieb schien keiner bereit, die Bundespartei an der Seite der wieder kandidierenden Claudia Roth (53) zu führen. Überregional bekannte Landespolitiker wie der hessische Fraktionsvorsitzende Tarek Al-Wazir (37) und Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (36) winkten ab.
Jetzt gibt es zwei Bewerber, auch wenn die etwas älter sind: Zunächst gab der Europaabgeordnete Cem Özdemir (42) seine Kandidatur bekannt. Und am Samstag ging auch der Berliner Fraktionschef Volker Ratzmann (48) offiziell an den Start. Damit haben die Grünen nun die Auswahl zwischen zwei Männern - falls sich nicht überraschend noch ein dritter meldet oder gar eine Frau Anspruch auf den Posten erhebt, was nach der Satzung möglich wäre. Bis zur Wahl auf dem Parteitag am 14. November in Erfurt ist ja noch Zeit.
Reformer mit innenpolitischem Profil
Bei allen äußerlichen Unterschieden der beiden Bewerber gibt es Gemeinsamkeiten. Der gelernte Sozialpädagoge Özdemir aus dem baden-württembergischen Bad Urach machte sich als Bundestags-Abgeordneter von 1994 bis 2002 einen Namen in der Innenpolitik, insbesondere in Fragen der Einwanderungspolitik und des Staatsbürgerschaftsrechts. Ratzmann beschreibt sich als "Anwalt mit Leib und Seele" dessen "Herz für die Innen- und Rechtspolitik" schlägt.
Beide Anwärter zählen sich zu den Realos - neuerdings bei den Grünen "Reformer" genannt. Özedemir war es wohl immer schon; Ratzmann wurde früher zu den Linken gezählt, wie seine Unterstützerin Renate Künast. Mit der Grünen-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag und weiteren Juristen teilt sich Ratzmann eine Anwaltskanzlei in der Nähe des Kurfürstendamms. Künast hatte ihn einst auch in die Berliner Landespolitik geholt.
Künasts Segen gegen Hermenaus Einwand
Die prominente Unterstützung muss Ratzmann an der Basis nicht unbedingt nutzen. Die frühere Verbraucherschutzministerin hat in der Parteiführung durchgesetzt, dass sie bei der Bundestagswahl 2009 als Spitzenkandidatin antreten darf - zusammen mit dem der Linken zugerechneten früheren Umweltminister Jürgen Trittin. Ihre Fürsprache stieß einigen einflussreichen Grünen jetzt auf. "Keiner hat hier etwas gegen Ratzmann", sagte die sächsische Fraktionsvorsitzende Antje Hermenau der "taz". "Aber wir haben uns schon daran gestört, dass eine noch nicht einmal gewählte Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl sich ihren Kandidaten selber aussucht."
Hermenau spricht auch für andere, wenn sie sagt: "Cem ist unser Kandidat." Der 42-Jährige strahle eine "schöne Weltläufigkeit" aus. "Sein Auftritt ist urban und modern." Seine früheren Sünden sind den "anatolischen Schwaben" in der Partei vergeben. 2002 hatte der Sohn türkischer Einwanderer einräumen müssen, dass er als Abgeordneter Vielflieger-Rabatte privat nutzte und sich vom PR-Berater Moritz Hunzinger einen zinsgünstigen Kredit von umgerechnet etwa 41.000 Euro geben ließ.
Dass er die Sünden durch schnellen Verzicht auf ein neues Bundestagsmandat büßte, während andere Vielflieger im Bundestag ein dickeres Fell zeigten, wurde ihm von vielen Grünen positiv angerechnet. Vollends rehabilitiert hat er sich in den Augen seiner Anhänger durch die gute Führung seit 2004 im Europaparlament.
Ruth Lindenberg, dpa
Quelle: ntv.de