Dossier

Polizisten in Sachsen-Anhalt Rechts blind oder selbst rechts?

Wenn Rechtsextreme Ausländer verfolgen oder Andersdenkende verprügeln, gelten in Sachsen-Anhalt die Schlagzeilen immer öfter nicht Tätern oder Opfern, sondern den Polizisten. Die Serie der Polizeipannen hat bundesweit Kopfschütteln ausgelöst. Erst ließen Polizisten in Halberstadt die Täter nach einem Neonazi-Überfall auf Theaterleute laufen. Anfang August konnten dann mehrere Männer mehrmals in die Wohnung von Vietnamesen eindringen, ohne dass die herbeigerufenen Beamten etwas dagegen unternahmen.

Innenminister Holger Hövelmann (SPD) geht davon aus, dass es sich um Einzelfälle handelt, doch die Häufung der Versäumnisse gibt auch ihm zu denken. Der Minister rief die Polizisten deshalb in einem Offenen Brief zu Wachsamkeit auf. Er kündigte Fortbildungen für alle Polizisten an und erhob seine Stimme immer wieder gegen rechtes Gedankengut. Doch diese Bemühungen bringen nicht von heute auf morgen Erfolg. "Hier ist ein langer Atem gefragt", sagt Hövelmann.

Drei Fragen stehen bei der Aufarbeitung der Vorfälle im Mittelpunkt: Sind einige Polizisten tatsächlich auf dem rechten Auge blind? Gab es einfach nur eine unglückliche Pannenserie? Sind hier handwerkliche Pannen offenkundig geworden, die bei Straftaten ohne politischen Hintergrund ebenso passieren? - Fragen, auf die es keine eindeutigen Antworten gibt. Die Grünen in Sachsen-Anhalt riefen die Gruppe "Polizeilicher Umgang mit Rechtsextremismus" ins Leben. In den Reihen der Regierung stößt dies als "Schnüffeltruppe" sauer auf.

Auch in anderen Bundesländern gerieten Polizisten in jüngster Zeit in Zusammenhang mit Rechtsextremismus in die Schlagzeilen. In Berlin wird wegen des Verdachts der Volksverhetzung gegen einen Beamten ermittelt, der sich an der Herstellung rechtsradikaler Musikmedien beteiligt haben soll. In Thüringen hat die Polizei indes aus einem Konzert von Rechtsextremen im April 2005 gelernt: Damals konnten sich in Pößneck mehr als 1.000 Rechtsextreme versammeln. Seitdem stehen oft ganze Hundertschaften einem Häuflein Rechter gegenüber.

"Es könnte sein, dass Polizisten deshalb über manche rechte Straftaten hinwegsehen, weil sie diese Stimmung in der Bevölkerung wahrnehmen", sagt der Hamburger Sozialwissenschaftler Rafael Behr. Der Mitarbeiter am Institut für Sicherheits- und Präventionsforschung hat sich mit Struktur und Arbeitsweisen der Polizei beschäftigt. "Die Fragen, über die jetzt diskutiert wird, wurden zeitversetzt in den 90er Jahren in den alten Ländern behandelt, als bekannt wurde, dass einige Polizisten rechtsextremen Organisationen angehören."

Behr sieht eine "Fülle von Interessenkonflikten". So könnten Polizisten ein Problem haben, "wenn sie sehr engagiert ermitteln und damit die Fallzahl hochjagen". Er spielt damit auf die Affäre bei der Polizei Dessau-Roßlau an, wo Staatsschützer dem Vize-Polizeichef vorwarfen, er habe sie bei Ermittlungen gegen Rechte bremsen wollen.

Während dieser Polizei-Vize aus Sachsen-Anhalt ohne Konsequenzen davonkam, reagierten dort Vorgesetzte jüngst mit harter Hand. Einen Tag nach dem Überfall auf die vietnamesische Familie wurden zwei leitende Beamte versetzt, weil sie den Kollegen am Tatort Verstärkung versagt hatten. Behr sieht solche schnellen Reaktionen kritisch: "Die Botschaft ist: 'Wir haben die Verantwortlichen gefunden, so etwas passiert nicht mehr'. Da habe ich aber meine Zweifel."

Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnt vor Überreaktionen. "Ich wünsche mir, dass vor einer Versetzung eine dienstrechtliche Prüfung erfolgt", sagt GdP-Landesvorstandsmitglied Uwe Petermann. Er weist auf eine Vielzahl reibungsloser Einsätze gegen Rechtsextreme hin. Rechte Gesinnung allein sei kein Haftgrund, sagt der GdP-Mann. Deshalb könnten Polizisten nicht jeden Straftäter beim Verdacht auf einen rechten politischen Hintergrund sofort in Gewahrsam nehmen.

Von Thomas Struk, dpa

Quelle: ntv.de

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