Dossier

Putin als Regierungschef Rochade am Roten Platz

Die Rochade scheint perfekt: Vizeregierungschef Dmitri Medwedew wird im März 2008 Präsident, Präsident Wladimir Putin wechselt dafür an die Spitze der Regierung. Häppchenweise lüftet der Kremlchef derzeit seine Pläne für die Zukunft Russlands und beendet damit die monatelange Ungewissheit. Kaum jemand in Russland zweifelte, dass Putin sich seine Macht über das Riesenreich auch nach der Präsidentenwahl bewahren wollte. 82 Tage vor der Wahl scheint klar, wie er seine Nachfolge stabil regeln will. Dabei hält er sein Versprechen von Anfang des Jahres: "Ich werde nicht weggehen."

Mit dem zu erwartenden Postenwechsel betritt Putin politisches Neuland. Noch nie hat ein russischer Staatschef den Spagat zwischen dem verfassungsgemäßen Ausscheiden aus dem höchsten Amt und dem Machterhalt versucht. Zwar hat Putin noch nicht zugesagt, das dem Präsidenten unterordnete Amt tatsächlich anzutreten. Aber dass Medwedew seinen Vorstoß ohne Absprache gemacht haben könnte, scheint ausgeschlossen. Die zum Referendum über Putins Präsidentschaft hoch stilisierte Dumawahl am 2. Dezember war der letzte Kunstgriff, bevor der Kremlchef seine Pläne enthüllte.

Nach über 70 Prozent Zustimmung für die beiden putintreuen Parteien Geeintes und Gerechtes Russland kündigte Dmitri Medwedew folgerichtig die Fortsetzung des Kurses seines politischen Ziehvaters an. Dank hohen Beliebtheitswerten trauen politische Beobachter Putin zu, jede ihm genehme Nachfolgeregelung durchzusetzen.

Politisch spielt Medwedew vor allem die soziale Karte. Mehr Wohlstand und ein besseres Leben für Jung und Alt sind seine Prioritäten für die Zukunft. Putins Kurs ist für ihn "Ideologie". "Einen Triumph der Liberalen" im Kreml nannte die Zeitung "Nesawissimaja Gaseta" die Kandidatur Medwedews. Der Präsident kündigte passend dazu am Dienstag an, Staatsbetriebe auf lange Sicht zu privatisieren. In der Außenpolitik hat sich der Putin-Vertraute nie mit antiwestlichen Parolen profiliert.

Das mögliche Tandem mit Medwedew ist für Putin wohl eine der elegantesten Lösungen, seinen Einfluss auf das Riesenreich zu wahren. Kaum ein Spitzenpolitiker aus seinem Umfeld ist dem Kremlchef so loyal ergeben wie der 42-Jährige. Der Radiosender Echo Moskwy charakterisierte ihn als "nicht allzu ehrgeizig". Gleichzeitig gilt er als so jung und kompetent, dass er das Zeug zum Staatschef hat.

Als Regierungschef könnte Putin auch weiter Garant für die filigrane Machtbalance zwischen den verschiedenen Cliquen im Kreml bleiben. Zeichen für erbitterte Kämpfe hinter den Mauern gebe es derzeit genug, schrieb das Nachrichtenmagazin "Russkij Newsweek" bereits vor der Kandidatur Medwedews. Um enttäuschte Einflussgruppen zu beruhigen, versicherte der Präsidenten-Vertraute umgehend, er werde "die Handlungsfähigkeit von Putins Mannschaft bewahren".

Neu wäre auch, dass Russland mit einem Ministerpräsidenten Putin wohl erstmals eine starke Regierung hätte. Das technokratische Amt des Regierungschefs würde gegenüber dem Kreml enorm aufgewertet. Sorge, nur noch die zweite Geige hinter einem Präsidenten Medwedew spielen zu müssen, braucht sich Putin wohl auch sonst nicht zu machen. "Wenn man die Verfassung sehr aufmerksam liest, kann man sehen, dass der Regierungschef ein sehr mächtiges Amt hat", kommentierte der kremlnahe Politologe Wjatscheslaw Nikonow das Szenario. Vor einer möglichen Entlassung durch seinen Nachfolger wäre Putin in der Duma durch die Zweidrittelmehrheit der Partei Geeintes Russland geschützt.

Gefahr droht allenfalls für Putins Popularität. Während er als Kremlchef Skandale und Probleme bislang dem Kabinett zur Last legen konnte, müsste er als Regierungschef selbst dafür geradestehen.

Auch wenn Medwedew erst am kommenden Montag offiziell als Bewerber nominiert wird, durfte er seine erste Wahlkampfrede im russischen Fernsehen am Dienstag schon als Staatsmann halten. Putins Wunschnachfolger vor der russischen Staatsflagge - dies ist ein Bild, an das sich die Bevölkerung wohl schon bald gewöhnen muss. "Der Präsidentschaftswahlkampf ist zu Ende, bevor er überhaupt angefangen hat", kommentierte die kremltreue Tageszeitung "Iswestija".

von Erik Albrecht, dpa

Quelle: ntv.de

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