Dossier

Warme Worte für den Westen Russland will mehr Nähe

Als Frank-Walter Steinmeier einen Moment zögerte, griff Dmitri Medwedew zu. Schnell schnappte Russlands wohl nächster Präsident die Hand des Bundesaußenministers und drückte sie auf einen großen Knopf. Applaus brandete auf im Moskauer Saal des Gazprom-Konzerns. Mit dem gemeinsamen Knopfdruck besiegelten die Politiker ein milliardenschweres Geschäft des russischen Monopolisten Gazprom und der BASF-Tochter Wintershall. Politische Beobachter sehen das Händehalten von Steinmeier und Medwedew aber auch symbolisch als Vorzeichen für eine Entspannung im zuletzt scharfen Streit zwischen Russland und dem Westen.

Nur einen Tag vor dem Besuch des SPD-Politikers in Moskau am vergangenen Dienstag hatte in Berlin das Telefon von Angela Merkel (CDU) geklingelt. Am anderen Ende: Wladimir Putin. Er unterrichtete die Bundeskanzlerin davon, dass er nach dem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt im Frühjahr 2008 wohl als Regierungschef weiter die politischen Geschicke Russlands mitgestalten wird. Die Offenheit des ehemaligen Geheimdienstchefs erstaunt umso mehr, weil die Bundesregierung erst Anfang Dezember die Parlamentswahl in Russland als undemokratisch kritisiert hatte. Bricht nach Monaten der Spannungen nun eine neue Phase rationaler Realpolitik an?

Selbstkritische Worte

"Einiges spricht dafür", meint Elmar Brok. Der CDU-Europa-Parlamentarier sitzt nach Treffen mit hochkarätigen Gesprächspartnern, darunter Medwedew und Außenminister Sergej Lawrow, in der Lobby eines Moskauer Hotels am Kreml und zieht Bilanz. Er habe von der Gegenseite durchaus glaubwürdige selbstkritische Worte und den wohltuenden Willen zur Kooperation gehört, erzählt Brok. So wolle Russland schnell Gespräche über ein neues EU-Kooperationsabkommen sowie über den ausstehenden Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) führen. "Ist alles wirklich so schön, wie es klingt?", fragt sich auch Brok.

Der von Putin unterstützte Medwedew habe eingeräumt, dass Russland in Sachen Demokratisierung einiges gut zu machen habe, sagt Brok. Die Auswüchse des russischen Wahlkampfs scheinen zumindest im Kreml vergessen zu sein. Der Oppositionspolitiker und Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow ist aus dem Gefängnis entlassen, und auch Putins Brandrede gegen Oppositionelle als "Schakale", die auf der Suche nach Geld um ausländische Botschaften streunten, ist angeblich Schnee von gestern.

Damals standen die Zeichen auf Harmonie

Viele Russland-Experten erinnert der aktuelle Stimmungswandel an Hoffnungen, die Europa an den dynamischen und dem Westen zugewandten Putin in dessen ersten Amtsjahren knüpfte. Damals standen die Zeichen auf Harmonie. Eine langfristige Einbindung Russlands in die europäische Wertegemeinschaft schien zum Greifen nah. Doch dann nahm Putin eine Serie von Terroranschlägen zum Anlass, um den Staatsapparat sowie das politische System und die Gesellschaft nach autoritären Maßstäben umzugestalten. Putins "gelenkte Demokratie" gipfelte zuletzt in einer Drangsalierung der Opposition und immer schärferen Tönen gegenüber dem Westen.

Einstweilen lässt sich nur spekulieren, weshalb der Kreml nun wieder auf Entspannung setzt. Eine Tiefenwirkung ist jedenfalls noch nicht zu erkennen. So verschärften die Streitkräfte in den vergangenen Tagen ihre Drohungen gegen die geplante US-Raketenabwehr in Mitteleuropa. Generalstabschef Juri Balujewski verstieg sich in die These, Washington riskiere mit seinen Plänen einen Atomkrieg. Sollten die USA eine Abwehrrakete aus Polen abfeuern, bestünde die Gefahr, dass Russland diese mit einer Interkontinentalrakete verwechsle und seinerseits zum nuklearen Gegenschlag aushole, lautete die Logik der Militärs. Sie kündigten auch an, die Zahl der Raketen und Abschussrampen deutlich zu erhöhen.

Die Arbeitsteilung des Tandems Putin - Medwedew steht noch in den Sternen. Russische Medien spekulierten zuletzt, Putin könnte Medwedew einmal als Aufsichtsratschef bei Gazprom beerben. Konkrete Hinweise gibt es nicht. Zumindest aber gibt der neue Ton aus dem Kreml Anlass zur Hoffnung, dass Putin im Frühjahr nicht als Totengräber der russischen Westanbindung aus dem Amt scheiden will.

Von Wolfgang Jung und Stefan Voß, dpa

Quelle: ntv.de

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