Kritische Töne und freche Trickfilme Russlands Staatsfernsehen im Umbruch
09.02.2010, 14:47 UhrMerkel rollt ein Bierfass, Sarkozy verlustiert sich mit seiner Carla: Das sind ungewohnte Bilder im russischen Staatsfernsehen, das erstmals seit Langem einen Aufbruch wagt.

"Mult Litschnosti": In der Trickfilmreihe im russischen Staatsfernsehen darf auch über Merkel gelacht werden.
(Foto: dpa)
Russlands kremltreues Staatsfernsehen wartet dieser Tage mit einer Überraschung nach der anderen auf: Erstmals seit Jahren gibt es offene Kritik an den Zuständen im Land etwa in der Jugendserie "Die Schule". Außerdem dürfen Zuschauer dank der frechen Trickfilmreihe "Mult Litschnosti" (ein Wortspiel auf Personenkult) wieder über Politiker lachen. Auch Kanzlerin Angela Merkel ist als Computeranimation ein Star dieser Serie im Sender Erster Kanal. Seit im Kreml der 44-jährige Dmitri Medwedew regiert, traut sich das Fernsehen wieder was. Doch bei den Älteren um Regierungschef Wladimir Putin schlagen die Wogen hoch.
Viele der von der Staatspropaganda schon ganz müden Zuschauer reiben sich die Augen vor so viel erfrischender Offenheit. Das Kremlfernsehen versucht erstmals seit Langem einen Aufbruch, weil junge Russen sich längst lieber im Internet informieren - statt die täglichen Erfolgsmeldungen der russischen Politik anzuschauen. Mit ihrer "Schule"-Serie löste die alternative Regisseurin Valeria Gaj Germanika eine gesellschaftliche Debatte um Gewalt an der Schule und autoritäre Erziehung aus, wie junge Russen sie nie erlebt haben.
Aufregung um "Schule"
Die für westliche Sehgewohnheiten nicht sonderlich aufregende Show ist Gesprächsthema Nummer eins in Russland. Putins Machtelite streitet aber darüber, ob Drogen und Sex unter Jugendlichen sowie eine korrupte Lehrerschaft wirklich zur besten Sendezeit gezeigt werden sollten. Einige fordern auch die Absetzung der Sendung. Die russisch-orthodoxe Kirche befürchtet, die im Dokumentarstil gedrehte Serie könnte schlechte Vorbilder vermitteln. Auch Bildungsminister Andrej Fursenko meinte im Stil sowjetischen Denkens, dass hier nur die "halbe Wahrheit" gezeigt werde. Es sollten deshalb auch positive Beispiele der Bildungsarbeit zu sehen sein.
Es gibt aber auch kremlnahe Befürworter, die meinten, die Probleme an Russlands Schulen seien in Wirklichkeit noch viel schlimmer. Statt sich über das bei den Zuschauern beliebte Programm aufzuregen, sollten lieber die Missstände behoben werden. Die "Schule"- Fangemeinde schreckte zu Wochenbeginn auf, als der Sender meldete, die viermal wöchentlich ausgestrahlte Serie werde vom 15. Februar an nicht mehr ausgestrahlt. Danach präzisierte der Kanal, sie werde nur während der Olympischen Winterspiele ausgesetzt.
Merkel rollt ein Bierfass
Es gibt weitere Beispiele für den neuen Kurs des Generaldirektors des Ersten Kanals, Konstantin Ernst. Populär ist etwa die Klamauk-Show "Mult Litschnosti" in 3-D-Computeranimation. Hier rollt mal eine Merkel-Figur ein Bierfass, rappt ein meist Basketball spielender US-Präsident Barack Obama oder verlustiert sich Frankreichs Nicolas Sarkozy mit seiner Carla Bruni. Die Kanzlerin springt im Hosenanzug bei einer Neujahrs-Party ihrer männlichen Kollegen sogar aus einer Torte - als Ersatz für ein Modell, dass Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi vorher vernascht hat.
Zwar ist die unregelmäßig sonntags ausgestrahlte Serie harmloser als die vor Jahren unter Putin trotz hoher Quoten abgeschaltete Satire-Show "Kukly" (Puppen). Doch es ist ein Neubeginn. Solche Veränderungen seien in Russland langsamer als eine Schildkröte, sagte der TV-Starmoderator Wladimir Posner, der bei "Mult Litschnosti" selbst vor Langeweile über das eigene Programm einschläft. "Wir müssen vorsichtig sein", sagte auch Fernsehdirektor Ernst. Damit erklärt er indirekt, warum westliche Politiker deutlich mehr ihr Fett wegbekommen als Putin und Medwedew.
Kritiker winken ab, die Show sei nur eine Imitation von Satire. Wie bissig es mitunter in "Mult Litschnosti" zugeht, zeigt aber die Zensur in der autoritär regierten Ex-Sowjetrepublik Weißrussland. Minsk ließ den Traktor fahrenden und bei der russischen Führung immer um Geld bettelnden Präsident Alexander Lukaschenko einfach aus der Sendung schneiden. Der Staatschef ist in Russland auch wegen seiner Annäherung an den Westen verschrien. Als Symbol für diesen Kurs muss in der Trickserie Merkel herhalten. Auf der Torte tanzend ruft sie in einem Traum Lukaschenkos: "Ich will ein Kind von dir".
Quelle: ntv.de, Von Ulf Mauder und Lena Mordmillowitsch, dpa