Plan zur Moralerziehung Sarkozy löst Protestflut aus
16.02.2008, 13:35 UhrMit seinem jüngsten Plan zur Moralerziehung der französischen Jugend hat Präsident Nicolas Sarkozy einen Proteststurm ausgelöst: Alle Schüler der letzten Grundschulklassen sollen als Erinnerungspaten das Leiden und Sterben eines der 11.000 französischen Judenkinder bezeugen, die dem Holocaust zum Opfer fielen. Wie üblich hatte Sarkozy sein Vorhaben weder mit seinen Ministern noch mit seiner Partei abgesprochen. Wie üblich setzte der Präsident wieder ein nationales Thema, über das sich die Opposition sogleich trefflich zerstritt.
Doch mit seinem "Erinnerungsschock" löste Sarkozy diesmal auch eine politisch gefährliche Protestflut aus. In Leserbriefen und Internet-Blogs machen viele Bürger ihrem Ärger Luft. "Wer gedenkt der heute abgeschobenen Kinder?", heißt es da. Und "Warum redet man nur von den Juden?". Sarkozy müsse wie das Privatfernsehen spektakulär "immer eins draufsetzen", klagt das Lyoner Blatt "Le Progrs".
Kritik an Sarkozys Vorstoß
Im Wahlkampf hatte Sarkozy die vielen Stimmen der Rechtsradikalen mit dem Versprechen eingesammelt, der Jugend wieder Anstand und Ehrfurcht vor der Nation beizubringen. Dabei hatte er gelobt, Schluss zu machen mit der angeblichen Selbstgeißelung der Franzosen wegen ihrer blutigen Kolonialgeschichte, der Sklaverei und Kollaboration mit dem Dritten Reich. Schon als erste Amtshandlung hatte Sarkozy 2007 angeordnet, den emotionalen Abschiedsbrief des von den Nazis hingerichteten jungen Kommunisten Guy Mquet in der Oberstufe zu verlesen. Die Jugend sollte sich emotional ein Vorbild nehmen an einem Gleichaltrigen, der für Nation und Überzeugung starb. Schon damals gab es Ärger: Sarkozy hatte übersehen, dass Mquet nicht als Widerstandskämpfer, sondern als revolutionärer Internationalist von den Franzosen selbst verhaftet wurde.
Jetzt verordnet Sarkozy wieder ein Geschichtsthema für die Schule. Die zehn- bis elfjährigen Kinder sollen als "Paten" sich mit jeweils einem konkreten jüdischen Kind befassen, dass von den Nazis ermordet wurde. Doch vom Jüdischen Studentenbund UEJF bis zur Vereinigung für Menschenrechte LICRA hagelt es Kritik. Die Initiative ersetze kritischen Umgang mit Geschichte durch "ein rein emotionales Herangehen", bemängelt der Historikerbund Libert pour l'Histoire. Das lothringische Blatt "L'Alsace" vergleicht diese Emotion mit "einem Schlag in die Magengrube".
Höflichkeit und Anstand lernen
Das für Sarkozy härteste Urteil aber kam von seinem "liberalen Aushängeschild" Simone Veil, die als Überlebende des Holocausts selbst betroffen ist. "In einer Sekunde ist mein Blut gefroren", sagte die Altpräsidentin des Europaparlaments. "Das ist unerträglich, dramatisch und vor allem ungerecht. Das kann man den kleinen Zehnjährigen nicht zumuten." Zudem könne man von keinem muslimischen Kind verlangen, sich mit einem jüdischen Kind zu identifizieren.
Doch Sarkozy besteht auf seinem Vorhaben und wird dabei vom früheren "Nazi-Jäger" Serge Klarsfeld unterstützt. Wichtig sei die Moralerziehung. Die Grundschüler sollten Höflichkeit und Anstand lernen, sagt der Präsident, der selbst gerne auf Höflichkeitsformen verzichtet. Sie sollten die Flagge achten und aufstehen, wenn die Nationalhymne ertöne. "In diesem Rahmen" sei die Patenschaft für die jüdischen Nazi-Opfer zu sehen. "Man traumatisiert die Kinder nicht, wenn man ihnen die Erinnerung eines Landes zum Geschenk macht."
Von Hans-Hermann Nikolei, dpa
Quelle: ntv.de