Was sagen die anderen Schluss mit Sonntagsreden
24.10.2007, 19:13 UhrKinder aus sozial schwachen Familien fühlen sich schon früh für den Rest ihres Lebens benachteiligt. Das geht aus der ersten Kinderstudie des christlichen Kinderhilfswerks World Vision hervor.
Die "Heilbronner Stimme" plädiert für Ganztagsschulen: "Die Forscher überbringen zahlreiche gute Nachrichten. Doch alles hängt an der sozialen Schicht. Schon bei den Jüngsten klafft eine große Lücke. Das ist dramatisch und muss verändert werden. Ein Schlüssel sind Ganztagsschulen - mit Integration hilfreicher Freizeitaktivitäten. Die Kinder insgesamt würden darunter nicht leiden. Denn der spannendste Befund der Studie lautet: Für Kinder zählt nicht, wie lange Eltern anwesend sind, sondern wie intensiv sie sich ihnen zuwenden. Stimmt diese Qualität, können Mutter wie Vater ruhigen Gewissens voll berufstätig sein."
Die "Ostthüringer Zeitung" (Gera) kommentiert: "Es ist die Pflicht der Gesellschaft, den Teufelskreis zu durchbrechen. Es geht nicht um Zwang, aber fürsorgliche Belagerung. Es geht um Anreize für fantasievolle Freizeitgestaltung statt Dauer- TV. Ergänzende Angebote sollen Eltern und Kinder stark machen, die angeborenen Fähigkeiten zu nutzen. Exzellenzinitiativen und Eliteförderung macht nur Sinn, wenn die Gesellschaft ihre Talente zuvor nicht im sozialen Abseits verkümmern lässt."
Die Berliner "Tageszeitung" schreibt: "Viele Studien von OECD, Deutschem Jugendinstitut oder Hochschulforschern haben in den vergangenen Jahren auf den empörend engen Zusammenhang von Herkunft und Bildungserfolg in Deutschland hingewiesen. Dennoch ist dieser schwerwiegende Befund 'Unterklasse bleibt Unterklasse' neu - denn er stammt aus Interviews mit Kindern und offenbart: Schon Acht- bis Elfjährige finden sich mit ihrem vermeintlichen Schicksal ab. Das dürfen wir nicht hinnehmen. Denn der Zusammenhalt der Gesellschaft steht auf dem Spiel, wenn ein nicht eben kleiner Teil von Jugendlichen heranwächst, der sich nicht mehr weiter entwickeln will."
Die "Ostsee-Zeitung" aus Rostock schreibt: "Die junge Generation, die im immer älter werdenden Deutschland zu einer Zehn-Prozent-Minderheit zusammengeschmolzen ist, braucht mehr als wohlfeile Sonntagsreden, mehr als kleinlichen Streit um ein wenig mehr Betreuungsmöglichkeiten der Kleinsten oder Ganztagsschulen für die Älteren. Um wirkliche Chancengleichheit bei Kindern zu erreichen, um die Talente jedes Kindes zu erkennen und zu fördern, muss die Gesellschaft bereit sein, wesentlich mehr in die junge Generation zu investieren als bisher. Mehr Geld und vor allem mehr Zeit, mehr Zuwendung."
Die "Neue Westfälische" aus Bielefeld sieht schnellen Handlungsbedarf: "Deutschland braucht dringend eine qualifizierte, frühe Kinderbetreuung. Es muss endlich der ernsthafte Versuch unternommen werden, die unterschiedlichen Startchancen im Leben auszugleichen. Das bedeutet keineswegs, dass der Staat die Eltern ersetzen soll. Es geht ganz einfach darum, dass die Politik auf allen Ebenen an dieser überaus wichtigen Stelle ergänzen und helfen muss. Das geschieht immer noch zu zögerlich."
Der "Schwarzwälder Bote" aus Oberndorf fordert Nachhaltigkeit: "Politiker sonnen sich gerne in der heilen Welt der Familie, düstere Schatten passen da nicht ins Bild. Dabei müsste die gestern veröffentlichte erste umfassende Kinderstudie aufrütteln. Was nutzen mehr Krippenplätze und berufliche Auszeiten für wohlgemerkt besser Gestellte, wenn jedem vierten Kind der Weg nach oben auf Dauer verbaut bleibt? Es ist Aufgabe des Staates, dies zu ändern. Das Geld, das er heute ausgibt, lässt sich morgen doppelt einsparen: bei Hartz IV."
Die "Westfalenpost" aus Hagen kommentiert: "Kinder aus sozial schwachen Familien fühlen sich schon früh für den Rest ihres Lebens benachteiligt. Diese Botschaft ist nicht neu. Neu ist, dass die Nachricht von den Kindern im Rahmen der Studie eines christlichen Hilfswerks erstmals selbst artikuliert wird. Sie ist ein Plädoyer für die Ganztagsschule, in der besonders unbetreute Kinder bessere Möglichkeiten individueller Förderung vorfinden. Bund und Länder stecken viel Geld ins Bildungswesen. Dennoch diskriminiert unser Schulsystem Kinder aus armen Elternhäusern. Unbestreitbar ist, dass die tiefe Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern beschämend ist. Doch dass Kinder aus sozial schwachen Familien in Deutschland, nach ihrem Berufswunsch befragt, zur Antwort geben: "Ich werde Hartz IV!", ist vor dem Hintergrund der Studie mehr als beißendes Kabarett."
Quelle: ntv.de