Kim ist Kanzlerin Schüler proben Politik
15.05.2009, 08:42 UhrKim Kellershoff (16) ist Kanzlerin. Manchmal fragt sie sich, warum sie sich das antut. Ein Gesetz gegen die wachsende Staatsverschuldung wird sie im Bundestag einbringen und dazu eine Rede halten. "Aber schlaflose Nächte habe ich noch nicht", sagt die Realschülerin selbstbewusst. Sie macht mit bei einem Projekt des Bonner "General-Anzeigers". Schüler aus Bonn und Umgebung kommen am 23. Mai, dem 60. Jahrestag des Grundgesetzes, im früheren Plenarsaal des Bundestags in Bonn zusammen. Und dort spielen sie eine Debatte über die wachsende Schuldenlast und verkörpern dabei echte Politiker.
"Schau ins Publikum"
Aber noch ist es nicht so weit. Erst einmal muss Kim ihre Rede der 10a der Tomburg-Realschule in Rheinbach bei Bonn präsentieren. "Wie können wir es schaffen, einen ausgeglichenen Staatshaushalt zu erreichen, ohne dass wir in Lumpen gehen müssen, ohne dass christliche Grundwerte oder demokratische Prinzipien über Bord geworfen werden?", liest sie von ihrem Manuskript ab. "Stopp", sagt ihr Politiklehrer Tom Schipper. Mehr Nachdruck will er, Kim soll zeigen, dass sie überzeugt ist von dem, was sie sagt. "Schau ins Publikum", schlägt er vor. "Aber ich kann den Text doch nicht auswendig", meint Kim. "Das kommt noch", sagt Schipper.
Sieben Schulen machen mit bei dem Projekt. "Wir haben gesehen, wie ein Gesetz überhaupt zustande kommt", sagt Kims Mitschüler Mustafa. Jede Klasse vertritt eine Bundestagspartei und überlegt, wie deren Position zu einem Gesetz gegen die Schuldenlast wohl aussähe. Bei der Debatte in Bonn spielen die Schüler Prominente. In der Tomburg- Realschule ist die CDU/CSU zu Hause, und in Kims Klasse gehen daher auch Familienministerin Ursula von der Leyen, Verbraucherministerin Ilse Aigner und Innenminister Wolfgang Schäuble.
Timo mimt Trittin
Timo Schäfer (15) vom Rhein-Sieg-Gymnasium in Sankt Augustin gehört dagegen zur Opposition und schlüpft in die Rolle von Jürgen Trittin von den Grünen. Für seine Klasse war Politikunterricht in diesem Halbjahr gar nicht vorgesehen, aber er und seine Mitschüler setzten durch, dass sie sich in der achten Stunde freiwillig mit dem Thema befassen können. "Von uns wird erwartet, dass wir in zwei oder drei Jahren wählen sollen, und wir wissen gar nicht, was die Parteien verkörpern und wofür sie überhaupt stehen", kritisiert Timo. Deswegen sei das Projekt mit der Debatte im alten Bundestag so nützlich: "Das macht die ganze Sache ein bisschen lebendiger."
Das sieht Lehrer Schipper genauso: "Einerseits sollen die Schüler zu politisch mündigen Bürgern erzogen werden, aber andererseits haben wir keine Stunden dafür." Es werde auf die Hauptfächer geschaut, aber nicht auf Politik und Geschichte. "Hinterher können dann alle gut Deutsch, Mathe oder Englisch, aber haben keinen Begriff von Demokratie. Da darf sich dann keiner wundern, wenn sie den Rattenfängern von ganz links oder ganz rechts nachlaufen."
Engagierte Jugendliche
Der "General-Anzeiger" hatte sich vorgenommen, mit dem Projekt Schüler an die Politik heranzuführen, sagt Chefredakteur Andreas Tyrock. "Wir wollten beim Thema 60 Jahre Bundesrepublik nicht nur den Blick zurück, sondern auch den nach vorne. Und die Jugendlichen sind so engagiert, dass das auch gelingt."
Für das Projekt machen Kim und ihre Klasse sogar Überstunden - und Schipper ordert kurzerhand Pizza für alle, damit sie bis in den Nachmittag durchhalten. In eine Partei eintreten wird Kim zwar nicht, wenn ihr Auftritt als Kanzlerin vorbei ist. Aber bei der nordrhein- westfälischen Kommunalwahl in ein paar Monaten will sie dabei sein: "Vor dem Projekt hätte ich gesagt, ich gehe eher nicht wählen. Aber ich bin mit Politik in Verbindung gekommen und werde wählen gehen."
Quelle: ntv.de, Jürgen Hein, dpa