Hunger in Afghanistan Selbst trockene Brotreste teuer
02.05.2008, 11:03 UhrDer Händler auf dem Markt von Kabul packt eine handvoll harter Brotreste und wiegt sie ab. Vor ihm steht eine Paschtunin mit einer leeren Plastiktüte. Die trockenen Reste, mit denen sie früher nur Schafe und Kühe gefüttert hätte, muss die Frau jetzt teuer bezahlen. Ihr Haushalt mit insgesamt 14 Personen habe frisches Brot schon seit einem Monat nicht mehr gekauft, sagt sie, weil die Preise nicht mehr bezahlbar waren.
Die weltweite Nahrungsmittelkrise hat nur wenige Länder so hart getroffen wie Afghanistan. Die Preise für Weizenmehl sind innerhalb von drei Monaten um 75 Prozent gestiegen. Der wachsende Unmut richtete sich vor allem gegen die von den USA unterstützte Regierung von Präsident Hamid Karsai. "Karsai ist der König und das ist mein Leben", klagt die verhüllte Paschtunin, deren neunjähriger Sohn Abdul Rahman an einer harten Kruste kaut. "Seit die Amerikaner hier sind, ist nichts mehr billig."
Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) warnt in einem Bericht, gerade für die Ärmsten in Afghanistan sehe es "sehr düster" aus. Es sei zu erwarten, dass die Zahl der Toten durch Unterernährung steigen werde. In mindestens einer Stadt ist es schon zu ersten Protesten gekommen. Selbst die Mittelschicht findet kaum mehr ein Auskommen.
WFP verteilt Lebensmittel erstmals auch in Städten
Der WFP-Direktor für Asien, Anthony Banbury, erklärt, dem 75-prozentigen Preisanstieg für Weizenmehl in diesem Jahr sei schon ein Anstieg um 60 Prozent im vergangenen Jahr vorausgegangen. "Die Menschen verhungern nicht", sagt Banbury. "Sie sterben an Krankheiten, an denen sie nie gestorben wären, wenn ihr Körper vom Hunger nicht so geschwächt wäre." Zum ersten Mal seit dem Sturz der Taliban verteilt das WFP Lebensmittel auch in Städten und nicht nur in ländlichen Regionen.
Zwei der ärmsten Provinzen Afghanistans, Ghor and Badghis, hatten doppelt zu leiden. Sie wurden nicht nur von der Nahrungsmittelkrise, sondern auch von einer Dürre getroffen, die im vergangenen Jahr 70 Prozent der Ernte zerstörte, sagt Mary Kate MacIsaac von der Hilfsorganisation World Vision. "Wer Besitz hatte, war gezwungen, ihn zu verkaufen" sagt MacIsaac. Sie verwies darauf, dass die Preise für Schafe um die Hälfte gefallen seien, da viele Menschen ihr Vieh verkaufen mussten. "Die Menschen sind verzweifelt und fragen sich angstvoll, was passiert, wenn die Ernte auch in diesem Jahr schlecht ausfällt."
Geschäftemacher profitieren
Genaue Zahlen sind nur schwer zu bekommen, Handelsminister Amin Farhang schätzt aber, dass Afghanistan 2007 rund 1,2 Millionen Tonnen Getreide weniger als die jährlich benötigten sechs Millionen Tonnen produziert hat. Die Ernte 2008 wird ersten Schätzungen zufolge wohl noch schlechter ausfallen, weil es zu Frühlingsbeginn zu wenig geregnet hat, wie der stellvertretende Landwirtschaftsminister Pir Mohammad Azizi sagt.
Afghanistan ist deshalb auf Hilfe von außen angewiesen, um das Defizit auszugleichen, und dadurch auch besonders anfällig für die weltweiten Preissteigerungen. Die Händler auf dem Markt in Kabul machen vor allem Geschäftemacher für den Preisanstieg verantwortlich. "Wir sind von der Gnade der Geschäftsleute abhängig", sagt der Händler Sajed Hassan Agha.
Krise könnte politische Folgen haben
Da im nächsten Jahr Wahlen anstehen und die Popularität der Regierung Karsai ohnehin auf einem Tiefpunkt ist, könnte die Nahrungsmittelkrise auch politische Auswirkungen haben. "Es gibt viele junge Männer, die keine Arbeit haben, die kein Einkommen haben in ihren Familien, und ihre wirtschaftliche Situation treibt sie den Taliban in die Arme", sagt Nias Mohammad Sarhadi, Chef des Bezirks Schari in der Nähe von Kandahar.
Die Regierung kauft inzwischen Mehl auf, um damit die Beamten und die Ärmsten des Landes zu unterstützen. Die Preise sind dadurch schon leicht gefallen, Handelsminister Farhang erwartet, dass sie im Mai weiter zurückgehen werden und dass sich die Situation leicht dadurch leicht entspannt wird.
Derzeit aber streiken die Lehrer, die eine Erhöhung ihres Monatsgehalts von 3.000 Afghani (32 Euro) fordern. Aus den Dörfern wandern verzweifelte Menschen in die Städte, um dort Arbeit zu suchen. "Schauen sie sich all diese Menschen an", sagt der 35-jährige Fateh Mohammed auf dem Markt in Kabul. "Sie kommen alle aus dem Norden. Sind alle hier, weil ihre Kinder Hunger haben."
Quelle: ntv.de, AP