Das konservative Milieu in der CDU Streicheleinheiten für die Parteiseele
15.01.2010, 10:00 Uhr
Der übliche Spagat in der Kommunikation: Nach innen wird die Seele gestreichelt, nach außen werden pragmatische Positionen vertreten.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
"Die Konservativen in der Union sind sehr vielfältig", sagt der Historiker Frank Bösch im Interview mit n-tv.de. "Gerade bei der Wirtschaftspolitik ist es schwer, die Konservativen zu verorten." Grundsätzlich gilt: Wer die Seele der Partei streicheln will, muss an konservative Positionen appellieren.
n-tv.de: Wie stark ist der Konservatismus in der CDU noch?
Frank Bösch: Das kommt darauf an, welchen Bereich man betrachtet. In der Führung der CDU sind die Allround-Konservativen sicherlich nicht besonders einflussreich. Auf den mittleren und unteren Ebenen der Partei aber ist ein kirchlich verankerter Konservatismus bei kulturellen Fragen noch recht stark, etwa in der Haltung zur Abtreibung oder zu familienpolitischen Fragen. Aus der Basis heraus wäre die Familienpolitik von Ursula von der Leyen wohl nicht initiiert worden.
Wer gehört heute zu den Konservativen in der Union?
Große konservative Wortführer gibt es in der CDU nicht mehr. Es gibt natürlich einzelne Ministerpräsidenten, die ein eher konservatives Profil haben, vor allem Roland Koch, der damit ganz in der Tradition der hessischen CDU steht. Bezeichnend ist allerdings, wer als Vertreter konservativer Positionen zu Talkshows eingeladen wird. Diese Gruppe ist extrem klein. Nicht selten müssen Politologen oder Journalisten einspringen, etwa Arnulf Baring oder Alexander Gauland. In der CDU von heute können Konservative sich selten dauerhaft durchsetzen: Jörg Schönbohm, der ein sehr konservatives Profil pflegte, konnte in Brandenburg nicht unbedingt reüssieren.
Was sind die Kernthemen der Konservativen in der CDU?
Die Konservativen in der Union sind sehr vielfältig. Zum einen gibt es den katholisch-konservativen Flügel - was allerdings nicht heißt, dass alle Katholiken in der Union konservativ sind; gerade auch der "soziale Fügel" in der Union besteht aus Katholiken. Bei den Katholisch-Konservativen ist das wichtigste Thema die Familienpolitik, insbesondere die Haltung zum Paragrafen 218, die das konservative Lager seit den 70er Jahren entscheidend gebündelt und mobilisiert hat. Lange Zeit war es auch die Bildungspolitik: die Sicherung des christlichen Unterrichtes, der Förderung katholischer Schulen und ähnliches. Anders ist es bei den Protestantisch-Konservativen in der Union. Dieser Flügel war traditionell stärker darauf bedacht, bei einer gewissen sozialen Sicherung eher liberale, unternehmerfreundliche Akzente zu setzen.
Es gibt also keine allgemein konservativen Themen?

Konservativ? Wirtschaftsliberal? Friedrich Merz (l.) erhielt viele Etiketten.
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Ich würde sagen, es gibt eine Bandbreite konservativer Themen, die jeweils Konjunktur haben. Gerade bei der Wirtschaftspolitik ist es schwer, die Konservativen zu verorten. Hier gab es lange eine Dominanz des wirtschaftsliberalen Flügels der Union - von Ludwig Erhard bis Friedrich Merz. Seit einigen Jahren gibt es aber eine gewisse Renaissance des sozialen Flügels der Union.
Merz ist häufig als Vertreter des "wirtschaftskonservativen Flügels" bezeichnet worden. Ist Merz überhaupt ein Konservativer?
Merz ist in meiner Wahrnehmung jemand, der den liberalen Flügel verkörpert.
Er ist aber auch der, der den Begriff der "deutschen Leitkultur" in die politische Debatte eingeführt hat.
Trotzdem wurde Merz vor allem als Politiker wahrgenommen, der für Steuersenkungen, den Abbau von Subventionen und ähnliche Themen stand. Konservatismus heißt nicht einfach Marktliberalismus.
Sondern?
Konservative Wirtschaftsliberale fordern "mehr Eigenverantwortung" und wollen, dass Leistung sich lohnen muss - da ist die Schnittmenge zwischen Konservativen und Liberalen sehr deutlich. Nur macht Konservative aus, dass sie bereit sind, für ihre Wertvorstellungen einen sozialen Ausgleich zu schaffen. Das ist das Erfolgsgeheimnis der CSU, die ja einen besonders konservativen Flügel in der Union vertritt. Die CSU ist nicht einfach nur wirtschaftsliberal, sondern versucht, bestimmte Gruppen zu beschützen, etwa Familien und Landwirte, die in der konservativen Weltanschauung ein hohes Ansehen genießen.
Taugt das Label "konservativ" überhaupt noch, wenn sowohl Wirtschaftsliberale als auch konservative Katholiken es für sich beanspruchen?
Ich denke schon. Nicht für die Union insgesamt - die CDU hat sich immer sehr dagegen gewehrt, als "konservative Partei" bezeichnet zu werden. Der Begriff "konservativ" taugt auch nicht, um eine Wirtschaftspolitik zu verorten. Aber der Begriff funktioniert, wenn es um stärker wertbesetzte Themen geht wie Ehe- und Familienpolitik, der Begriff taugt etwas, wenn es um Themen geht wie die innere Sicherheit, wenn es um Themen geht, die stärker national aufgeladen sind, Integration, Asylpolitik, Fragen der Militärpolitik. Das sind Bereiche, bei denen man einen konservativen Flügel klar verorten kann. In solchen Fragen positionieren Konservative sich sehr kalkulierbar.
Das Papier "Mehr Profil wagen" von vier Landespolitikern der CDU setzt auf eine konservative Erneuerung und stellt wirtschaftsliberale Positionen zugleich stark in den Vordergrund. Funktioniert das?
"Mehr Profil wagen" zielt darauf ab, die Seele der Partei zu trösten. Das geht am besten über Appelle an konservative Positionen. Auf CDU-Parteitagen ist der Beifall der Delegierten immer dann besonders stark, wenn konservative Akzente gesetzt werden, wenn etwa eine klare Position gegen den EU-Beitritt der Türkei artikuliert wird. Die Parteimitglieder der Union sind zweifellos konservativer als ihre Wähler. Das ist der übliche Spagat in der Kommunikation von Parteien: Nach innen wird die Seele gestreichelt, nach außen werden pragmatische Positionen vertreten.
Von den drei Grundströmungen der CDU haben zwei Arbeitskreise: Es gibt die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft und, für den wirtschaftsliberalen Flügel, die Mittelstandsvereinigung. Nur die Konservativen haben keinen eigenen Arbeitskreis. Warum nicht?

Frank Bösch ist Geschäftsführender Direktor des Historischen Instituts der Universität Gießen. Er hat mehrere Bücher über die CDU und "das konservative Milieu" geschrieben.
Die CDU galt für die Anhänger anderer Parteien als konservativ, und versuchte deshalb, sich ihnen gegenüber zu öffnen. Eine solche Funktion hatte auch der soziale Flügel der Union, der sich in der Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) organisierte, um Arbeiter zu integrieren. Konservative neigen zudem generell weniger dazu, sich zu organisieren. Konservative Parteien waren immer extrem mitgliederschwach, haben Funktionäre abgelehnt und das Individuum betont. Konservative Parteien lagern deshalb oft ihre Organisation in Verbände aus, mit denen sie dann eng kooperierten. Die CDU hatte sehr große konservative Massenbasen. Vorsitzende des Bauernverbandes wurden mehrfach von der Union zu Landwirtschaftsministern ernannt, die Vorsitzenden von Vertriebenenverbänden haben wichtige Posten in der Union bekommen. Heute haben diese Verbände an Bedeutung verloren - wie der Konservatismus in der Union insgesamt auch.
Mit Frank Bösch sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de