Ein Bericht aus dem Jahr 1998 Todesanzeige auf Seite 1
21.08.2007, 10:32 UhrVon Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Am Dienstag vor einer Woche verstarb 91-jährig die weltweit älteste noch aktive Chefredakteurin einer Zeitung, der "Israel-Nachrichten". Der Tod von Alice Schwarz-Gardos wurde erst am Wochenende durch einen Nachruf des Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Johannes Gerster bekannt. Nachfolgend ein Bericht aus dem Jahr 1998. An der Zeitung und am Aussehen der Chefredakteurin hat sich seitdem kaum etwas geändert:
"Kaufen Sie ein Los – es lohnt sich abzukratzen." Diese Anzeige für Rubbellose habe in den "Israel Nachrichten", der einzigen deutschsprachigen Tageszeitung Israels, so niemals gestanden. Darauf besteht die rüstige Chefredakteurin Alice Schwarz-Gardos, Jahrgang 1916, in Wien geboren und in den vierziger Jahren nach Israel eingewandert. Einen Bericht über den deutschen Bundeskanzler Hellmut Kohn (!) habe sie vor der Drucklegung noch korrigieren können. Dennoch sind das altertümliche Deutsch und die Druckfehler immer wieder Gesprächsstoff in der schwindenden Leserschaft. "Jede Todesanzeige bedeutet einen Abonnenten weniger", heißt es. Aber: "Eine Geburtsanzeige bedeutet nicht einen neuen Leser mehr." Die "Israel Nachrichten" seien die einzige Zeitung der Welt, die Todesanzeigen auf ihrer ersten Seite drucke: "Für unsere Leser ist das ein Statussymbol."
Vor dem Redaktionsgebäude im Süden von Tel Aviv hocken illegale schwarzafrikanische Gastarbeiter. Sie springen auf jedes vorbeifahrende Auto, um sich als Lastträger zu verdingen. "Früher war das mal eine gute Geschäftsgegend", meint die Chefredakteurin. Zu ihr gelangt man durch verwinkelte Flure, vorbei an winzigen Kammern mit Computer und Redakteuren. Die kommunizieren in einem Kauderwelsch aus Hebräisch, Ungarisch, Deutsch, Rumänisch und neuerdings auch Russisch. Sechs Zeitungen in sechs verschiedenen Einwanderersprachen werden hier an Macintosh Computern geschaffen.
Die deutsche Redaktion ist fensterlos und 4 mal 4 Meter groß. Im Bücherschrank steht eine abgegriffene Paperbackausgabe von Fischers Lexikon (Auflage 1975) und ein neuerer Duden. Zwei ältere Damen kopieren Leserbriefe. An einem PC tuscheln auf Russisch zwei jüngere Hilfskräfte, während die Chefredakteurin neben einem Bücherberg die neuesten Ausgaben von Stern und Spiegel studiert. "Aus denen dürfen wir nicht abschreiben. Das können wir uns nicht erlauben", sagt sie. Die Bemerkung, daß nur ein Regenschirm über ihrem Kopf fehle, um die Spitzwegatmosphäre im "Redaktionssaal" perfekt zu machen, löst zustimmendes Gelächter aus.
Acht feste Mitarbeiter zähle die Zeitung. "Korrespondenten und Reporter können wir uns nicht leisten. So mancher Pensionär entpuppte sich als begnadeter Journalist und freiwilliger Zulieferer", erzählt Schwarz-Gardos. Selbstverständlich stünden ihr alle großen Agenturen zur Verfügung, vor allem dpa. Die Deutsche Presse Agentur müsse nicht übersetzt werden und "garantiere gutes Deutsch". Für Honorare fehlt das Geld.
Die "Israel Nachrichten" werden im Abonnement an alte deutsche Juden geschickt, die nie die Landessprache erlernt haben. Sie liegen in Hotels und christlichen Hospizen für deutsche Touristen aus. Erst nach Drängen gesteht Schwarz-Gardos das "Geschäftsgeheimnis", wonach die "Israel Nachrichten"" heute in "einigen Tausend Exemplaren" gedruckt würden. Der "Reut" Verlag subventioniere sie mit Einnahmen aus der rumänischen Zeitung. Wegen der rumänischen Gastarbeiter gehe die "sehr gut".
Die Zeitung wurde 1936 gegründet, mit klapprigen Schreibmaschinen verfaßt und hektographiert. "Dann schwang sich der Verantwortliche für Inserate aufs Fahrrad, um sie zu verteilen", erinnert sich Schwarz-Gardos. Der Geschäftsmann Siegfried Blumenthal sah eine Geschäftslücke, kaufte die hektographierten Seiten und schuf eine gedruckte Zeitung. "Blumenthals Neueste Nachrichten" hieß das Blatt zunächst. Dafür holte sich Blumenthal bei der britischen Mandatsmacht eine Erlaubnis, "was sehr schwierig war". Die Zeitung wurde von den Briten und von der jüdischen Bevölkerung mit Mißtrauen beäugelt: von den Briten, weil schon Spannungen mit Hitlerdeutschland bestanden und von den Juden, weil jede andere Sprache neben dem Hebräischen verpönt war. Der Streit, ob Jiddisch oder das wiederbelebte biblische Hebräisch die Nationalsprache im künftigen Judenstaat werden sollte, war gerade ausgefochten. Staatsprophet Theodor Herzl hatte vorgeschlagen, die "Kultursprache" Deutsch zur Umgangssprache im jüdischen Staat zu erklären.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war alles Deutsche zu einem Tabu worden. Da erlebten die "Israel Nachrichten" mit einer Auflage von 50.000 Exemplaren ihre größte Verbreitung dank der eingewanderten Überlebenden der Konzentrationslager Europas.
Neben der hohen Politik und einem Roman in Folgen ("Die Lustgärten Gottes" von Hugh Walpole) gibt es "aktuelle" Berichte aus Altersheimen und heftige Kritik an Korrespondentenberichten in deutschen Zeitungen. So beklagt sich die Chefredakteurin in einem Meinungsartikel über die "von Vorurteilen oder Pauschalurteilen zugebretterten Gehirne" der Leitartikelautoren des Berliner Tagesspiegels. "(In Israel) ist alles weitaus komplizierter als es sich so mancher kleine Moritz an der Spree vorstellt." Um Irrtümern vorzubauen steht unter manchen Artikeln die Zeile: "Der Autor drückt seine eigene Meinung aus. d.Red." Etwas ungewohnt ist der Zusatz "s.A." (seligen Angedenkens) hinter dem Namen eines jüdischen Toten und die Bezeichnung "Zahal" für die israelische Armee. Eine Sportseite gibt es nicht und auch die Börsenkurse fehlen. Die überalterte Leserschaft scheint das nicht mehr zu berühren.
Eine ganze Seite ist dem Rundfunk- und Fernsehprogramm gewidmet. Die Auswahl ist bezeichnend. Für das Radio wird nur das Programm klassischer Musik abgedruckt. Neben dem Programm des ersten und zweiten Kanals im israelischen Fernsehen werden in aller Ausführlichkeit die Programme von 3Sat, SAT1 und RTL beschrieben. Die werden im Kabelnetz empfangen.
Quelle: ntv.de