Frankreich erschwert Immigration Toter im Abschiebelager
25.06.2008, 08:13 UhrErst haben sie ihre Matratzen in Brand gesteckt, dann brannten zwei Gebäude völlig aus - die Ausländer im größten Abschiebelager Frankreichs haben ihrer Wut freien Lauf gelassen. Seit Monaten flackert im Zentrum von Vincennes immer wieder Gewalt auf. Hilfsorganisationen hatten mehrfach gewarnt, dass ein geringer Anlass ausreichen könnte, um die Situation eskalieren zu lassen. Der Anlass fand sich am vergangenen Wochenende: der Tod eines 41 Jahre alten Tunesiers, der nach Zeugenberichten vergeblich um einen Arzt gebeten haben soll. Kurz darauf verbreiteten sich Gerüchte über die Mitschuld der Behörden an dem Todesfall, Gewalt und Chaos brachen aus.
Die Unruhen im größten Abschiebezentrum Frankreichs kommen für die Regierung zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Eben erst hatte Einwanderungsminister Brice Hortefeux stolz seine Bilanz präsentiert: In den ersten Monaten des Jahres habe Frankreich 80 Prozent mehr Ausländer ohne Bleiberecht abgeschoben als im Vorjahreszeitraum, betonte er. Im Juli will Hortefeux beim EU-Ministertreffen in Cannes Pläne für den EU-Einwanderungspakt vorstellen, der eines der großen Projekte der im Juli beginnenden französischen EU-Ratspräsidentschaft werden soll. Da sieht es nicht gut aus, wenn Hilfsorganisationen und die Opposition im eigenen Land die Einwanderungspolitik der Regierung mit heftigen Worten anprangern.
Quote steckt Abschiebungsziel
Was sich in den vergangenen Tagen in Vincennes abspielte, sah aus wie eine klassische Gefängnisrevolte - mit dem Unterschied, dass es sich nicht um Häftlinge handelte, sondern "um Ausländer, deren Verbrechen darin besteht, keine Papiere zu haben", sagt Laurent Giovannoni von CIMADE, der einzigen Organisation, die Zugang zu den Abschiebezentren hat. Giovannoni kritisiert die "Quotenpolitik" der Regierung, die jeder regionalen Polizeibehörde ein genaues Ziel von Abschiebungen vorgibt. Landesweit sollen in diesem Jahr 26.000 Ausländer ohne Bleiberecht abgeschoben werden.
"Die Jagd nach Zahlen erhöht den Druck auf die Polizisten, in den Abschiebzentren kommt es immer häufiger zu Gewalt", sagt Giovannoni. Immer wieder komme es zu Hungerstreiks, Selbstverstümmelungen, Selbstmordversuchen und gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften. "Es herrscht ein Klima der Einschüchterung und der Verzweiflung", fügt er hinzu. Seit Beginn des Jahres haben Abschiebekandidaten mehr als 20 Klagen wegen Verletzung durch Polizisten eingereicht. Im Februar setzte die Polizei im Zentrum von Vincennes Elektroschock-Pistolen ein, zwei Insassen wurden verletzt.
Illegalisierte suchen Wege
Die Zahl der Plätze in den Abschiebelagern hat sich in Frankreich seit 2003 von knapp 800 auf etwa 1700 mehr als verdoppelt. Im vergangenen Jahr durchliefen 35.000 Ausländer ohne Papiere diese Zentren. Nur etwa die Hälfte von ihnen wurde tatsächlich in ihre Heimatländer abgeschoben. Ein Teil von ihnen wurde in die EU-Staaten zurückgebracht, in die sie zuerst eingereist waren, weil sie nur dort einen Asylantrag stellen können. Andere konnten schließlich doch ihr Bleiberecht bekommen.
In Frankreich kommen die meisten Einwanderer aus Nordafrika, der Türkei und China. Ein Teil von ihnen kommt legal ins Land, nämlich mit einem Touristenvisum. Viele arbeiten und zahlen Steuern. Mitte April sind erstmals ausländische Arbeiter ohne Bleiberecht in einen organisierten Streik getreten. Die Regierung hat mittlerweile mehr als 400 von ihnen legalisiert. Offiziell tritt der französische Präsident Nicolas Sarkozy allerdings weiterhin dafür ein, Massenlegalisierung EU-weit zu verbieten, um keine weiteren Einwanderer anzulocken.
Ulrike Koltermann, dpa
Quelle: ntv.de