Dossier

Absturz auf dem Weg nach Katyn Tragödie wird Ost-West-Verhältnis ändern

Der Flugzeugabsturz der polnischen Präsidentenmaschine bietet Stoff für Verschwörungstheorien. Dennoch könnte der Absturz zu besseren russisch-polnischen Beziehungen führen. Das bliebe nicht ohne Auswirkungen auf das Verhältnis der EU zu Russland.

Auf dem Flughafen von Smolensk verabschieden der russische Premier Wladimir Putin und Polens Botschafter Jerzy Bahr den Sarg mit dem Leichnam des polnischen Präsidenten.

Auf dem Flughafen von Smolensk verabschieden der russische Premier Wladimir Putin und Polens Botschafter Jerzy Bahr den Sarg mit dem Leichnam des polnischen Präsidenten.

(Foto: AP)

Die Symbolik könnte tragischer nicht sein: Auf dem Flug nach Katyn, wo tausende polnische Offiziere und Vertreter der polnischen Elite während des Zweiten Weltkriegs vom sowjetischen Geheimdienst NKWD umgebracht wurden, verunglückte am Samstag die Maschine des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski. Keiner der 97 Menschen an Bord überlebte. Die Experten sind sich einig: Die Tragödie wird Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Moskau und Warschau und damit auch der EU haben - ob positive oder negative, mag aber niemand derzeit vorhersagen.

Jahrzehntelang galt das Massaker von Katyn als Sinnbild für das Misstrauen Warschaus gegenüber seinem mächtigen Nachbarn. Erst unter Michail Gorbatschow gab die Sowjetunion zu, dass nicht die deutsche Wehrmacht für den Massenmord vor 70 Jahren verantwortlich war, sondern der Geheimdienst NKWD, der auf Stalins Befehl gehandelt hatte. Bis heute sind noch nicht alle Archivdokumente zu dem Massaker freigegeben.

Doch seit kurzem gilt Katyn auch als Symbol einer vorsichtigen Annäherung: Erstmals zeigte das russische Fernsehen am Karfreitag Andrzej Wajdas unter die Haut gehenden Film "Katyn", und erstmals gedachten der russische Ministerpräsident Wladimir Putin und sein polnischer Kollege Donald Tusk am Mittwoch in dem westrussischen Ort gemeinsam der Opfer. Kaczynski und weitere Vertreter von Regierung und Armee wollten am Samstag zu einer separaten Gedenkfeier dorthin reisen.

Stoff für Verschwörungstheorien

Am Samstag in Smolensk: Putin umarmt seinen polnischen Amtskollegen Tusk.

Am Samstag in Smolensk: Putin umarmt seinen polnischen Amtskollegen Tusk.

(Foto: dpa)

Der Flugzeugabsturz gibt genügend Stoff für Verschwörungstheorien: "Kaczynski war, gelinde gesagt, kein Freund Russlands", sagt Politik-Experte Fjodor Lukjanow. Der Herausgeber der Zeitung "Russia in World Affairs" ist überzeugt, dass es unweigerlich Stimmen geben werde, "die den russischen Geheimdienst für Kaczynskis Tod verantwortlich machen werden" - auch wenn Ermittlungen zu dem Ergebnis kommen werden, dass der Pilot wie bisher vermutet für den Absturz verantwortlich war. Er befürchtet, in Polen könnte sich das Gefühl wieder verstärken, "dass alles, was mit Russland in Verbindung steht, schrecklich und schlecht ist".

Die russische Führung ist sich der verheerenden Symbolik durchaus bewusst: In kürzester Zeit übermittelte die Regierung mit Putin an der Spitze ihr Beileid und versicherte ihren Wunsch, Polen angesichts der nationalen Tragödie zu helfen. Gleichzeitig versicherte Moskau, dass polnische Experten bei allen Untersuchungen dabei sein werden. "Sie haben eine beispiellose Bereitschaft gezeigt, alles zu tun, um Polen zu helfen", sagt Lukjanow. "Sie haben sehr viel mehr über Solidarität und Hilfe gesprochen, als irgendjemand erwartet hätte."

Experte sieht Grund zur Hoffnung

Polen gilt als mächtigster Vertreter der einstigen UdSSR-Satellitenstaaten und hat an der Spitze des ost- und mitteleuropäischen EU-Blocks starken Einfluss auf Brüssels Politik gegenüber Moskau. Sollten sich Polen und Russland im Gefolge der Tragödie annähern, werden sich nach Auffassung der Experten auch die Beziehungen zwischen Moskau und der EU verbessern. Umgekehrt könnte neues Misstrauen in Warschau die Ost-West-Spannungen innerhalb Europas wieder anheizen.

Analyst Dmitri Babitsch hofft auf positive Konsequenzen: "So seltsam das klingen mag - möglicherweise aber führt diese furchtbare Tragödie zu besseren russisch-polnischen Beziehungen", sagt er "Radio Liberty".

Arseni Roginski von der russischen Bürgerrechtsbewegung Memorial gibt sich da vorsichtiger: "Die Tatsache, dass der polnische Präsident auf dem Weg nach Katyn starb, am 70. Jahrestag des Beginn des Massakers, könnte die Russlandphobie innerhalb der polnischen Gesellschaft verstärken", sagt er dem Sender. "Die danach suchen, werden immer zusätzliche Bestätigung für die Schuld der Russen finden", sagt er düster. Am Ende, so findet er, sei es gleichgültig, "was die politische Führung sagt". Es komme einzig darauf an, "was die Menschen glauben".

Quelle: ntv.de, Christopher Boian, AFP

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