"Kekse für die Kinder" Tunnelschmuggel in Rafah
02.02.2009, 15:36 UhrIm Innenhof des Hauses von Said Chalil liegt ein 20 Zentimeter langes schweres Stück Metall. "Das ist ein Teil von einer israelischen Rakete", sagt Chalil. Das Loch, das dieses Stück Metall in das Kunststoff-Dach seines Hauses gerissen hat, als es während der israelischen Offensive im Gazastreifen über die Grenzmauer flog, hat der Familienvater aus dem ägyptischen Grenzort Rafah noch nicht geflickt. Die Risse in den Wänden seines Hauses, die durch die Erschütterung der einschlagenden Raketen auf der palästinensischen Seite von Rafah entstanden waren, hat er notdürftig ausgebessert.
Chalils Haus liegt 50 Meter von der Grenze entfernt in einem Viertel, in dem viele Familien vom Schmuggel leben. In kleinen Nebengebäuden oder den Innenhöfen ihrer Häuser liegen die Eingangslöcher der Tunnel, durch die täglich Waren in den Gazastreifen gebracht werden.
Lukrativer Waffenschmuggel
"In unserem Viertel betreibt fast jeder so einen Tunnel", erklärt Al-Hadsch Fadhel, der mit seinen vier Ehefrauen und seiner zahlreichen Nachkommenschaft ein zweistöckiges Haus bewohnt. "Durch die Tunnel werden Kaugummi und Kekse für die palästinensischen Kinder geschmuggelt, Kichererbsen, Windeln und Konservendosen", sagt er mit stolzer Stimme. "Wir schmuggeln alles, was man drüben verkaufen kann, - alles, außer Waffen."
Der weißbärtige Al-Hadsch Fadhel, der trotz seines fortgeschrittenen Alters gelegentlich selbst durch einen der Tunnel steigt, auf der anderen Seite Bekannte hat, und sogar ein paar Brocken Hebräisch spricht, hätte mit dem noch lukrativeren Waffenschmuggel zwar nach eigenem Bekunden kein moralisches Problem, doch ist ihm das Risiko zu hoch.
Daran, dass sie gemeinsam mit ihren "Geschäftspartnern" auf palästinensischer Seite Lebensmittel und Haushaltswaren unter der Grenze hindurchschmuggeln, können die ägyptischen Tunnelbetreiber erst recht nichts falsch finden. "Wenn (der ägyptische Präsident Husni) Mubarak den Grenzübergang Rafah für den Warenverkehr öffnet, dann wird der Schmuggel sofort aufhören", sagt einer von ihnen.
Vor einigen Tagen fand man in einem Tunnel 200 Kühlschränke. In der Gasse, in der Al-Hadsch Fadhel wohnt, riecht es intensiv nach Benzin, obwohl weit und breit keine Tankstelle zu sehen ist. Die schwer bewaffneten ägyptischen Sicherheitskräfte, die in dem Viertel in großer Zahl postiert sind, fühlen sich nicht berufen, den Benzinschmuggel zu unterbinden.
Gezielte Zerstörung der Tunnelarme
Zwar ärgern sich die ägyptischen Schmuggler darüber, dass die israelische Armee in den vergangenen Wochen auf der anderen Seite zahlreiche Tunnelarme mit gezielten Angriffen zerstört hat. Doch von einem kompletten Zusammenbruch des weit verzweigten Netzes, das nach der weitgehenden Abriegelung des Gazastreifen infolge der Machtübernahme der islamistischen Hamas in Gaza 2007 erheblich ausgebaut wurde, kann keine Rede sein.
Doch wenn es nach dem neuen US-Sondergesandten für den Nahen Osten, George Mitchell, ginge, dann müssten sich die Ägypter an der Grenze ohnehin bald neue Einkommensquellen suchen. Mitchell, der von US-Präsident Barack Obama mit der Suche nach einem Weg zum Frieden betraut worden ist, vertritt die Ansicht, dass der Waffenschmuggel viel einfacher einzudämmen wäre, wenn die Grenzübergänge zum Gazastreifen nach Ägypten und Israel wieder offen wären.
Dann wäre klar, dass durch die Tunnel nicht Windeln und Tomatenmark, sondern nur noch Munition, Waffen und Raketen- Komponenten transportiert werden. Waffenschmuggler könnten mit Hilfe der teuren Bewegungsmelder eindeutig identifiziert werden, die kürzlich von den USA an die ägyptische Grenzpolizei geliefert wurden. Auch der Einsatz deutscher Experten für Grenzsicherung, die den Ägyptern vor einigen Tagen erklärt hatte, wie man effektive Hinterland-Kontrollen durchführt, wäre dann vielleicht nicht umsonst.
Anne-Beatrice Clasmann, dpa
Quelle: ntv.de