Brandenburg beschämt Umstrittenes Land
12.02.2008, 11:05 Uhr"Wir haben Schiffbruch erlitten." Der Sprecher von Brandenburgs Finanzministerium, Ingo Decker, redete gar nicht erst um den heißen Brei herum, als der Bundesgerichtshof (BGH) vor kurzem ein Urteil gegen das Land begründete. Darin rügt er in harscher Form, wie sich das Land nach der Wiedervereinigung Bodenreformflächen sicherte, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Ostdeutschland neu verteilt worden waren. So sei es "sittenwidrig und nichtig" gewesen, dass sich das Land an Stelle unbekannter Erben als Eigentümer solcher Flächen in Grundbücher habe eintragen lassen.
Ins "Blaue hinein" sowie "inhaltlich falsch" habe Brandenburg die Auflassung, also Übereignung, von Grundstücken beansprucht und damit seine Vertretungsmacht missbraucht, stellen die Richter fest. Das "eines Rechtsstaats unwürdige Verhalten" erinnere "nachhaltig an die Praxis der Verwalter-Bestellung der DDR". Die Bestürzung in der Potsdamer SPD/CDU-Koalition ist seither groß. Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) zeigte sich von dem Urteilsspruch "beschämt", Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) forderte eine "offene und transparente" Aufarbeitung der komplizierten Materie. Ministeriumssprecher Decker erkannte nüchtern: "Jetzt haben wir ein Problem."
Politische Folgen nicht absehbar
Mittlerweile vergeht kaum mehr ein Tag ohne neue Anschuldigungen in der Presse und prompte Dementis seitens der Regierung. Die Staatsanwaltschaft prüft Ermittlungen gegen das Land wegen Untreue oder Betruges, und der Haushaltsausschuss des Landtages befasst sich in einer Sondersitzung mit dem Thema. Auch die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Parlament ist nicht ausgeschlossen. Währenddessen weist die Regierung energisch den Vorwurf zurück, sich bereichert zu haben und beteuert, dass seinerzeit vor den Grundbucheintragungen intensiv nach möglichen Erben geforscht worden sei. Die politischen Folgen des Gerichtsurteils sind noch nicht absehbar.
Andere Ost-Länder haben das Problem nicht, weil sie vorsichtigere Regelungen getroffen haben. In Brandenburg aber haben zwei Brüder aus dem Kreis Märkisch-Oderland den Stein ins Rollen gebracht, nachdem sie 2002 bemerkt hatten, dass für ihnen vermachtes Bodenreformland inzwischen das Land Brandenburg als Eigentümer im Grundbuch stand. Angeblich hatten sich für die zehn Hektar bis zum Auslaufen einer Verjährungsfrist am 2. Oktober 2000 keine rechtmäßigen Erben gefunden, woraufhin sich das Land vom Kreis zu deren Stellvertreter bestellen ließ. Hintergrund ist eine Regelung nach der deutschen Wiedervereinigung, wonach Bodenreformland an den Staat fallen sollte, sofern es keine in der Landwirtschaft tätigen Erben gab.
1000 laufende Verfahren
Scheiterte das Brüderpaar in dem Eigentumsstreit zunächst noch vor dem Landgericht Frankfurt (Oder), so gaben ihm später das Oberlandesgericht und - nachdem das Land dagegen in Revision gegangen war - der Bundesgerichtshof Recht. In rund 10.000 Fällen hat das Land laut Finanzministerium in der Vergangenheit Ansprüche gegen unbekannte Erben von Bodenreformland durchgesetzt; 1000 laufende Verfahren zu Grundbucheintragungen will es nun nach dem BGH-Urteil zurückziehen.
Die historischen Wurzeln des Konflikts reichen in die Nachkriegszeit zurück, als unter der kommunistischen Losung "Junkerland in Bauernhand" aller Besitz von mehr als 100 Hektar in Ostdeutschland enteignet und aufgeteilt wurde. Empfänger der zumeist fünf bis acht Hektar großen Flächen waren in Brandenburg 110.000 Landarbeiter, Umsiedler, Landarme und Kleinpächter. Ihre Erben konnten im wiedervereinigten Deutschland weiterhin über das Land verfügen, wenn sie es landwirtschaftlich nutzten. Um jetzt noch unbekannte Anspruchsberechtigte ausfindig zu machen, hat die Regierung eine Hotline eingerichtet und will bis Anfang März Anzeigen in Zeitungen schalten.
Von Ronald Bahlburg, dpa
Quelle: ntv.de