Dossier

Drei tote Afghanen und die Folgen Unsicherheit in jeder Hinsicht

Die Soldaten waren ausgerückt, um in jener verhängnisvollen Nacht zu Freitag die Lage in Afghanistan ein kleines bisschen sicherer zu machen. Doch als ihre Schüsse verhallt waren und drei Zivilisten ihr Leben verloren hatten, war die Welt in jeder Hinsicht unsicherer geworden. Nicht nur für die Schützen selbst, sondern für die Bundeswehr in Afghanistan insgesamt und letztlich auch für die Bundesregierung.

Am unmittelbarsten gilt das - von den Familien der Toten abgesehen - für die beteiligten Soldaten. Die Feldjäger hatten zusammen mit afghanischen Polizisten nahe Kundus im Norden des Landes eine Straßensperre errichtet - um einen erwarteten Wagen zu stoppen, der Drogen oder nach anderen Angaben Sprengstoff transportieren sollte. Als in der Dunkelheit ein Auto vor der Sperre nach kurzem Stopp abrupt wieder anfuhr, gaben die unter extremer Anspannung stehenden Soldaten erst Warnschüsse ab und feuerten dann wohl gezielt.

Schieße oder nicht schießen?

Es bedarf nicht viel Fantasie sich vorzustellen, wie sie sich gefühlt haben mögen, als sie in dem durchlöcherten Wagen eine Frau und zwei Kinder tot in ihrem Blut vorfanden. In Bundeswehr-Kreisen hieß es, sie seien verzweifelt. Verteidigungsministerium und Einsatzführungskommando äußern sich nicht zu den nun getroffenen Maßnahmen, für solche Fälle hält die Bundeswehr aber Psychologen in Afghanistan bereit. Doch selbst wenn die Schützen nach Hause zurückgeholt werden sollten - werden sie je wieder einsatzfähig sein? Und wie sicher können ihre Kameraden beim nächsten Mal eine Entscheidung fällen, wenn sie sich nach all den Anschlägen auf die Bundeswehr in Todesgefahr wähnen und zugleich das Drama jener Nacht vor Augen haben - schießen und vielleicht Unbeteiligte töten oder nicht schießen und das eigene Leben riskieren?

Unsicherer ist mit dem Zwischenfall die Lage für die deutsche ISAF-Truppe generell geworden. "Zivile Opfer untergraben das Vertrauen und die Zuversicht des afghanischen Volkes", sagt der UN- Sondergesandte in Afghanistan, Kai Eide. Viele Politiker warnen deshalb vor einer Spirale der Gewalt. Verliert die vergleichsweise gut angesehene Bundeswehr bei den Afghanen an Rückhalt, könnten die Taliban im gleichen Maße an Unterstützung gewinnen - mit der Folge von noch mehr Anschlägen, noch nervöseren Soldaten und noch mehr versehentlichen Schüssen auf Unbeteiligte. "Die Auseinandersetzungen werden noch intensiver werden", prophezeit der SPD-Experte Walter Kolbow.

Auch die Situation der Bundesregierung wird damit immer unkalkulierbarer. Ein schneller Abzug der Bundeswehr würde die Lage nur noch verschlimmern, darüber sind sich bis auf die Linke die Parteien weitgehend einig. Der zivile Wiederaufbau schreitet aber kaum voran. Und bereits vor dem Tod der Zivilisten war die klare Mehrheit der Deutschen laut Umfragen gegen den Einsatz. Ihre Zahl dürfte sich nun weiter erhöhen, zumal erst einen Tag vor dem Zwischenfall bei einem Anschlag der 28. deutsche ISAF-Soldat umgekommen war.

Einkalkulierte Todesfälle

Mit dem Tod der Zivilisten "wird die politische Legitimation des Einsatzes geringer", sagt Oberstleutnant Jürgen Rose vom kritischen Soldatenverband Darmstädter Signal, der den Afghanistan-Einsatz ablehnt. Rose ist aber auch überzeugt, dass sich am Kurs der Bundesregierung nichts ändern wird: "Wer Soldaten in solche Szenarien schickt, hat solche Fälle einkalkuliert."

In der Frage der individuellen Schuld hat sich das Verteidigungsministerium denn auch sehr schnell festgelegt. "Es gibt zurzeit keinen Grund, den deutschen Soldaten einen Vorwurf zu machen", hieß es bereits einen Tag nach dem nächtlichen Drama in einer Erklärung. Zu Angaben des afghanischen Polizeichefs der Provinz, nach denen das beschossene Fahrzeug nur zu wenden versucht hat, nahm die Bundeswehr unter Verweis auf die laufenden Ermittlungen der zuständigen Staatsanwaltschaft nicht Stellung. Die Einsatzregeln verbieten den Soldaten aber selbst in Notsituationen, nach dem Abbruch eines Angriffs auf Flüchtende zu schießen.

Christian Andresen, dpa

Quelle: ntv.de

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