"Liderlichster Verrat" Unter Gysis Würde
28.05.2008, 19:24 UhrSo kennt man ihn nicht. Der begnadete Redner Gregor Gysi liest seinen Text ab. "Nennen Sie mir andere Abgeordnete des Bundestags, die sich für Robert Havemann so eingesetzt haben wie ich, und die diesbezüglich so viel erreichten." Raunen, Zwischenrufe, Empörung bei Union, SPD, FDP und Grünen - Beifall bei der Linken im Saal. Das Rednerpult im Plenum des Bundestags ist für den Fraktionsvorsitzenden der Linken ein vertrauter Platz. Oft schon hat er in seinen bisher insgesamt 15 Jahren als Mitglied des Bundestags von hier flammende Reden gegen die Ungerechtigkeit in der Welt gehalten. An diesem Mittwoch geht es auch um Unrecht und Gerechtigkeit - und zwar in seinem eigenen Fall und den Vorwürfen, er habe als Anwalt in der DDR mit der Stasi zusammengearbeitet und Mandanten verraten.
Seit Anfang der 90er Jahre belastet Gysi dieses Thema. Er bestreitet, Informeller Mitarbeiter (IM) der DDR-Staatssicherheit (Stasi) gewesen zu sein. Nun gibt es erneut Berichte, Gysi habe 1979 als IM DDR-Regimekritiker wie Robert Havemann bespitzelt. Für Gysi ist das eine Frage der Ehre - als Anwalt, als Politiker und als Mensch. "Die wollen hören, dass ich sage, was ich für eine Sau gewesen bin. Aber das werden sie von mir nicht hören, weil es nicht stimmt." Nachdem er Havemann vertreten habe, habe es für seinen Mandanten keine Hausdurchsuchungen, keinen Hausarrest und keine Ordnungsstrafen mehr gegeben. "Kontakte zur Staatssicherheit entsprachen weder meinem Stil noch meiner Würde."
Gysi vermutet politisches Kalkül
Für den CDU-Abgeordneten Thomas Strobl steht hingegen zweifelsfrei fest, dass Gysi für die Stasi gearbeitet und in "gemeinster Weise ... liederlichsten Verrat an seinen Mandanten" begangen habe. "Das ist für einen Anwalt eine Schande." Strobl: "Wer solche Sauereien begangen hat, ist als Volksvertreter diskreditiert. Der Abgang ist überfällig. Ziehen Sie die notwendigen Konsequenzen", ruft er Gysi und dessen Fraktion zu. Selten gab es einen solchen Schlagabtausch im Bundestag über eines seiner Mitglieder. Gysi meint, bei ihm werde eine Ausnahme gemacht und Grenzen würden überschritten. Er glaubt, dass seine Gegner aus "Verzweiflung über die Erfolge der Linken" dieser Partei schaden wollen. Und er glaubt, dass das nicht gelingen wird.
Der SPD-Abgeordnete Stephan Hilsberg, einer Gründer der SPD in der DDR und in Kirchenkreisen aktiv, holt tief Luft als er ans Mikrofon geht. "Es fällt mir schwer, meine Gedanken zum Ausdruck zu bringen und noch schwerer, meine Gefühle zum Ausdruck zu bringen", beginnt er und meldet Zweifel an, ob er das überhaupt schaffen werde. Dann spricht er aber mit fester Stimme und nennt es unerträglich, wie die Linke und ihr Frontmann Gysi versuchten, alle zu belügen.
"Allerengste" Stasi-Mitarbeit
Anders als andere Abgeordnete hält Hilsberg es für völlig unerheblich, ob Gysi als IM geführt wurde oder nicht. "Das spielt keine Rolle. Die entscheidende Frage ist, wie sein Verhältnis zur Stasi war." Er habe mit der Stasi aufs "Allerengste" zusammengearbeitet. Die Liste, wen Gysi alles bespitzelt habe, lese sich wie das "Who is Who" der Opposition der DDR. Gysi habe dazu beigetragen, dass die Opposition in der DDR unterdrückt wurde. Das sei unerträglich für jeden, dem dieses Schicksal widerfahren sei.
Es meldet sich am Mittwoch noch jemand zu Wort. Der Sohn von Robert Havemann. "Unabhängig von der Frage, ob Herr Gysi IM war, was ich nicht beurteilen kann, hat er im Sinne unseres Vaters gehandelt", sagt Florian Havemann der "Mitteldeutschen Zeitung". "Unser Vater wollte über Gregor Gysi eine Verbindung zur Parteiführung herstellen. Das ist ihm gelungen. Ab dem Zeitpunkt, als er Anwalt unseres Vaters war, hat es keinen Prozess mehr gegeben."
Von Kristina Dunz, dpa
Quelle: ntv.de