Ein Jahr nach der US-Wahl Versprechen auf dem Prüfstand
02.11.2009, 11:51 Uhr
Am 4. November 2008 wurde Obama zum 56. Präsidenten der USA gewählt.
(Foto: REUTERS)
Wahlkämpfe sind die Zeit der Versprechen - das ist immer und überall so. Aber Experten sind sich einig: Barack Obama war so etwas wie ein Weltmeister auf dem Gebiet, getragen vom eigenen Idealismus und einem Tsunami der Erwartungen in der US-Bevölkerung und der Welt. Kein Wunder also, dass Gruppen gezielt verfolgen, ob sich auch dieser enorme Hoffnungsträger am Ende als einer von jenen entpuppt, die ihr eigenes Geschwätz von gestern wenig kümmert oder die erfahren müssen, dass sie, wenn auch mit guten Absichten, ihren Mund schlicht zu voll genommen haben.
515 konkrete Wahlversprechen listet das populäre "Obameter" im Internet derzeit auf - von der Schließung des Lagers Guantanamo Bay bis zur Anschaffung eines Hundes für die Töchter Sasha und Malia. Und die Zahl steigt noch, denn immer wieder stoßen die Obama-Aufpasser - ein Team von der "St. Petersburg Times" - und andere wachsame Amerikaner auf weitere Wahlkampfzusagen.
Auf die Finger geschaut
Und das ist die Bilanz zum ersten Jahrestag der Wahl: 49 Versprechen hat Obama bisher eingehalten, sieben ganz klar gebrochen, in 14 Fällen deutet sich entgegen früheren Einschätzungen ein Bruch an und in ebenso vielen ging Obama Kompromisse ein. Bei 128 Versprechen tut sich etwas, das heißt, es sind Beratungen auf irgendeiner Ebene im Gange, und bei den restlichen 303 gibt es noch keine Einschätzung, sei es, weil die US-Regierung bisher nicht aktiv geworden oder weil nicht klar ist, ob sich irgendwo schon irgendwer mit der Sache beschäftigt.
Zu den gebrochenen Versprechen zählt das "Obameter", dass der Präsident das türkische Massaker an Armeniern vor gut 90 Jahren bisher nicht offiziell als "Völkermord" eingestuft hat. Außerdem werden Lobbyisten sowie spendable Parteiunterstützer nach wie vor mit Übernachtungen im Weißen Haus und politischen Informationen aus erster Hand belohnt. Und Senioren müssen weiter Einkommensteuer zahlen, auch wenn sie weniger als 50.000 Dollar jährlich verdienen.
Auf der anderen Seite hat Obama wie versprochen innerhalb der ersten 100 Amtstage eine Rede vor einem größeren islamischen Forum gehalten (vor dem türkischen Parlament), Amerikaner dürfen nun ihre Angehörigen auf Kuba besuchen, es wird in alle Arten alternativer Energien investiert, es gibt einen Schutz für Kreditkartenbenutzer und einen Beauftragten im Weißen Haus für Indianer-Belange.
Schwieriges Unterfangen: Guantánamo
Auf der Plus-Seite wird auch verbucht, dass Obama - wie verheißen - prompt den Rückzug aus dem Irak eingeleitet hat, auch wenn zehntausende Soldaten länger bleiben als ursprünglich angekündigt. Und er hat die versprochene Entsendung von zwei zusätzlichen Brigaden nach Afghanistan in die Tat umgesetzt - was freilich nichts an der Enttäuschung vieler über die anscheinende Ratlosigkeit im Weißen Haus über die richtige Afghanistan-Strategie ändert.
Beim Dichtmachen von Guantánamo tut sich Obama ebenfalls schwer. Es ist, wie das "Obameter" notiert, in Arbeit und der Präsident damit auf dem Weg, sein Wahlkampf-Versprechen generell einzuhalten. Das dürfte ihm mit seiner Ankündigung kurz nach dem Amtsantritt, das Lager bis Ende Januar 2010 zu räumen, nicht gelingen. Die Schließung und insgesamt die Behandlung von Terrorverdächtigen haben sich offensichtlich als komplizierter erwiesen als es Obama vorhergesehen hat, als er im Wahlkampf sagte, die Sicherheit des Landes und die Ideale stünden nicht im Widerspruch. So ist zu erwarten, dass die Liste der gebrochenen Versprechen bald um zwei Punkte erweitert wird: Obama will - wenn auch mit geänderten Regeln - die Sondergerichte zur Aburteilung von Terrorverdächtigen beibehalten, und einige Gefangene sollen anscheinend weiterhin auch ohne Prozess festgehalten werden können.
Widerstand aus eigenen Reihen
Die Probleme beim Umgang mit den Terrorverdächtigen gelten insgesamt auch als ein Paradebeispiel dafür, wie stark Obama Widerstände seitens seiner eigenen Demokraten im Kongress und die tiefe Abneigung der Republikaner gegen ihn unterschätzt hat. Das zeigt sich auch im Ringen um die Gesundheitsreform ("in Arbeit"), bei der Obama zu Zugeständnissen und damit zur Erhöhung seines Gebrochene-Versprechen-Kontos gezwungen werden dürfte.
War Obama bisher ein guter Präsident? Die Obama-Messer nennen nur die Fakten und bewerten sie nicht. Aber es sagt vielleicht etwas aus, dass die größten "Obameter"-Kategorien jene sind, in denen noch nichts entschieden ist. Zehn Monate im Amt, das ist eine kurze Zeit. Ganz am Rande: Obamas Töchter haben seit Mai ihren Hund.
Quelle: ntv.de, Gabriele Chwallek, dpa