Ausschuss streicht Listen zusammen Wahlzulassung birgt Konfliktstoff
24.01.2010, 17:10 UhrIm März will Irak ein neues Parlament wählen. Doch bereits vorab kommt es zu Konflikten: Ein Regierungsausschuss hat über 500 Namen von den Wahllisten gestrichen.

US-Vize Joe Biden trifft während seines Irak-Besuchs auf Ministerpräsident Nuri al-Maliki.
(Foto: dpa)
Über den geplanten Parlamentswahlen am 7. März im Irak brauen sich dunkle Wolken zusammen. Ein Regierungsausschuss, der die Kandidaten in Hinblick auf ihre politische Vergangenheit unter dem Regime von Saddam Hussein überprüfen soll, strich letzte Woche mehr als 500 Namen von den Wahllisten. Bei fast allen handelte es sich um Sunniten oder um solche Schiiten, die auf nicht-religiösen Listen antreten wollen. Der Versuch von US-Vizepräsident Joe Biden, bei einem Besuch in Bagdad die Dinge zurechtzurücken, ist zumindest vorerst gescheitert.
Ministerpräsident Nuri al-Maliki zeigte dem Gast aus Washington die kalte Schulter. Der Beschluss des "Komitees für Rechenschaft und Gerechtigkeit" sei "verfassungskonform", beschied er kühl dem Gast aus Washington. Tatsächlich beinhaltet das irakische Grundgesetz eine Art "Wiederbetätigungsverbot". Die Baath-Partei, die Herrschaftspartei des 2006 hingerichteten Diktators Saddam, ist damit unwiderruflich aus dem politischen Leben des neuen Iraks verbannt.
Nicht unvoreingenommen
Doch wie weit gilt das für ehemalige einfache Parteimitglieder und Mitläufer, die damals keine Entscheidungsträger waren und oft nur aus Karrieregründen der Machtpartei beitraten? Das "Rechenschaftskomitee" fasste diese Frage sehr weit, als es insgesamt 515 Kandidaten von der Liste strich. Unter ihnen sind Politiker, die sich seit Jahren im neuen demokratischen Betrieb des Landes als gesetzestreu erwiesen haben, wie etwa Saleh al-Mutlak, der Chef der Dialogfront, der zweitgrößten sunnitischen Partei, oder Verteidigungsminister Abdul Kader al-Obeidi. Al-Mutlak hatte zudem der Baath-Partei bereits 1977 den Rücken gekehrt, noch vor Saddams Machtergreifung.
Das Komitee selbst gilt nicht als unvoreingenommen. Geleitet wird es von einem religiösen Schiiten, Ali Faisal al-Lami, den die Amerikaner 2008 wegen seiner mutmaßlichen Betätigung in pro-iranischen Milizen inhaftiert hatten. Er ist ein enger Vertrauter von Ahmed Chalabi, einem einstigen Verbündeten Washingtons. Dieser hatte im Vorfeld der Irak-Invasion die damalige US-Administration mit gefälschten Kriegsgründen versorgt, sich aber später mit ihr überworfen. Heute ist er ein politischer Freund Teherans. Der Ausschluss der Sunniten und der nicht-religiösen Schiiten hilft aber nicht nur Chalabi, der selbst auf einer religiösen schiitischen Liste antritt, sondern auch dem amtierenden Ministerpräsidenten Al-Maliki, der die religiös-schiitische Dawa-Partei anführt.
Beschlüsse nie offiziell veröffentlicht
Washington und die Vereinten Nationen befürchten allerdings, dass die umstrittene Disqualifizierung politischer Konkurrenten die Rechtmäßigkeit der Wahlen in Zweifel ziehen könnte. Auch birgt der Ausschluss führender sunnitischer Politiker neuen Konfliktstoff. Die Sunniten bilden etwa 20 bis 25 Prozent der irakischen Bevölkerung. Unter Saddam, der selbst ein Sunnit war, genossen viele von ihnen eine privilegierte Stellung. Nach dem US-Einmarsch 2003 wurden sie zunächst übergangen, viele von ihnen unterstützten den bewaffneten Kampf gegen die Besatzer. Später gelang es, sie mehr oder weniger in den politischen Prozess einzubinden. Sie wieder auszuschließen, könnte die ohnehin zerbrechliche Stabilität des Iraks gefährden.
Aber möglicherweise ist in der Sache der Wahlausschlüsse noch nicht das letzte Wort gesprochen. Die Beschlüsse der Al-Lami- Kommission wurden nie offiziell veröffentlicht. Die Namen sickerten lediglich in die Medien durch. Der irakische Präsident Dschalal Talabani äußerte sich sehr kritisch über die Maßnahme und forderte ihre Überprüfung. So gab sich Biden in Bagdad dennoch zuversichtlich. Die irakische Führung sei sich des Problems bewusst und werde "an einer gerechten endgültigen Lösung arbeiten", meinte er nach seinem Treffen mit Talabani.
Quelle: ntv.de, Gregor Mayer, dpa