Die Energie der Zukunft Windiger Lehrstuhl in Stuttgart
05.03.2007, 10:58 UhrGanz kleine und mannshohe Modelle von Windrädern, ein Windmesser, ein Lego-Modell einer Offshore-Windanlage von seinem Sohn - im Büro von Martin Kühn dreht sich alles um die Windkraft. Der Professor am bundesweit ersten Windenergielehrstuhl an der Universität Stuttgart ist schon seit seiner Kindheit begeistert von der natürlichen Energie des Windes. Die Faszination an der Technik kam später hinzu. "Die Natur stellt einen vor ständig wechselnde Herausforderungen. Wir müssen daran arbeiten, den böigen Wind so gleichmäßig, effizient und naturverträglich wie möglich zu nutzen", sagt der 43-jährige Forscher.
Und sofort ist Kühn in seinem Element: "Der Windenergiemarkt boomt enorm. Weltweit wächst er um über 20 Prozent jährlich." Im vergangenen Jahr setzte die Branche weltweit über elf Milliarden Euro um. Die deutsche Technologie hatte dabei einen Anteil von über einem Drittel. "Natürlich kommt man noch nicht an die Automobilindustrie heran, aber die Windenergiehersteller sind auch längst keine Garagenfirmen mehr", betont Kühn. Mit 18.685 Anlagen ist Deutschland weltspitze; etwa sechs bis sieben Prozent des Elektrizitätsverbrauches kann mit der sauberen Energie produziert werden. Kühn hebt hervor: "Abgesehen von der Wasserkraft ist die Windenergie die kostengünstigste erneuerbare Energiequelle."
Eine neue Anlage kostet etwa zwei Millionen Euro und kann über 20 Jahre etwa 1.000 Haushalte mit Strom versorgen. Je größer ihr Rotordurchmesser, desto mehr Energie produziert sie. Im Moment messen die größten Anlagen etwa 126 Meter im Durchmesser. "Die Technik ist schon sehr ausgereift, aber die Kosten müssen weiter sinken. Die Anlagen müssen vor allem effizienter und zuverlässiger werden", sagt Kühn. Ein weiterer entscheidender Punkt ist die bessere Integration in das bestehende Energiesystem.
Das Institut für Solare Energieversorgung (ISET) in Kassel zeigte kürzlich, dass die Stromversorgung in Europa ausschließlich mit erneuerbaren Energien und mit bereits weitgehend entwickelten Technologien gesichert werden könnte. Die Kosten wären kaum höher. "Zentral dafür ist die Kombination verschiedener Energiequellen und der Energietransport in einem transkontinentalen Verbundnetz", erläutert der Professor. Nach Schätzungen des Bundesverbands Windenergie werden sich etwa im Jahr 2013 die Kosten der Windkraft denen anderer Energien angeglichen haben.
Für die optimale Nutzung des Windes ist der Standort der Windräder entscheidend. Kühn setzt vor allem auf große Windparks und die Offshore-Windenergie: "In den küstennahen Meeresgebieten sind enorme Windressourcen vorhanden. Die mittlere Windgeschwindigkeit und damit der Ertrag ist hier um bis zu 50 Prozent höher. Außerdem stehen größere Flächen als an Land zur Verfügung." Im kommenden Jahr soll das erste Testfeld in Deutschland 45 Kilometer nördlich von Borkum entstehen.
Mit einem modernen Prognosesystem können die Forscher heute die Windmenge und produzierte Energie an einem Standort einen Tag im Voraus berechnen. Plötzliche Ausfälle werden vermieden. Die zur Verfügung stehende Energiemenge wird besser planbar, Kraftwerke können ihre Produktion frühzeitig anpassen. Dadurch verschleißen die Anlagen nicht so stark, und es wird weniger CO2 produziert. In einem anderen Forschungsprojekt werden mit Hilfe eines Lasermessgerätes Windverwirbelungen hinter den Anlagen ermittelt, um genauer zu verstehen, wie hoch die Belastungen im Windpark sind.
Ein im Jahr 1949 von Professor Ulrich Hütter konstruiertes Windrad gilt als Urmodell einer modernen Windenergieanlage und steht heute restauriert vor dem Stuttgarter Institut. Während der Ölkrise 1972 wurden Pläne für die Anlage sogar an die Nasa in den USA weitergeben. Kühn freut sich, dass die Ideen aus Stuttgart auch heute noch überall auf der Welt aufgegriffen werden.
(Catherine Simon, dpa)
Quelle: ntv.de