Fördergelder gestrichen Zukunft ungewiss
30.07.2008, 08:43 UhrSchlägereien, Drogen, Gerichtsprozesse und Schulschwänzen - Elias Hoffmann war nie ein Ausbund an Tugendhaftigkeit. In der neunten Klasse brach er die Schule ab - Note fünf oder sechs in zwölf von dreizehn Fächern. Doch der junge Mann hat seinen Abschluss nachgeholt, bewirbt sich für eine Ausbildung und arbeitet nebenher. Für ihn ist das ein kleines Wunder. Möglich wurde es durch eine Förderung, mit der Jugendliche auch dann nicht abgeschrieben wurden, wenn sie zwei- oder dreimal scheiterten. Viele dieser Angebote fielen jetzt dem Rotstift zum Opfer. Sozialarbeiter suchen händeringend nach alternativen Geldquellen.
Hoffmann wuchs im Berliner Problembezirk Neukölln auf. Bildung war für ihn lange ein Fremdwort. "Wir dachten, man braucht das nicht", sagt er. Der muskulöse junge Mann mit den kurzen braunen Haaren, der Goldkette und der Tätowierung auf dem Arm traf sich lieber mit Freunden, anstatt in die Schule zu gehen. Er sprühte Graffiti, trank Alkohol, nahm Drogen. Die Ausbildung zum Maler brach er ab. Mehrere Versuche, den Schulabschluss nachzuholen scheiterten. "Ich war einfach zu jung und zu doof im Kopf", sagt der 21-Jährige heute.
Doch mit der Vermittlung in ein Programm, das speziell auf Leute wie ihn zugeschnitten war, kam die Wende. Bei "Neukölln Aktiv" musste er lernen, Regeln einzuhalten. Pauken war Pflicht: Sechs Monate lang gab es vier Tage in der Woche Unterricht in Mathe, Deutsch, Englisch und Biologie. Elias und seine rund 20 Mitschüler bekamen individuellen Förderunterricht in kleinen Gruppen. Gewöhnungsbedürftig waren auch die regelmäßigen Tests und die Anwesenheitspflicht. Viele der Jugendlichen hatten jahrelang überhaupt keinen Kontakt zu Bildungsangeboten.
Und Hoffmann schaffte es - wie knapp 90 Prozent der Jugendlichen in dem Programm. Ende Mai lief es aus. Die Förderung durch das Jobcenter wurde gestrichen. Rund die Hälfte des Geldes kam hierher, der Rest vom Jugendamt. Das Geld des Jobcenters wurde finanziert über die "Sonstigen Weiteren Leistungen", die Hartz IV-Bezieher zusätzlich in Anspruch nehmen können. Darunter fallen auch spezielle Kurse für Ausländer mit schlechten Deutschkenntnissen oder Ausbildungs- und Betreuungsangebote für Alleinerziehende.
Verdacht auf Missbrauch der Gelder
Das Bundesarbeitsministerium strich im Frühjahr diese Förderungen zusammen, um Wildwuchs und Missbrauch abzustellen. Eine Sprecherin des Ministeriums sagte, das Geld sei oft "nicht im Sinne des Gesetzes" ausgegeben worden. Daher bekamen die Jobcenter die Anweisung, genau zu prüfen, an wen weiter Geld gezahlt wird. Bei 80 Prozent der Fälle sei eine weitere Förderung möglich.
Für den Koordinator von "Neukölln Aktiv", Hartmuth Kurzhals, war die Streichung zunächst eine Katastrophe - genauso wie für tausende Sozialarbeiter, die sich um schwer vermittelbare Jugendliche kümmern. Nach Angaben der Arbeitsmarkt-Expertin der Grünen im Bundestag, Brigitte Pothmer, sind bundesweit mehrere hunderttausend Menschen von der Rotstift-Aktion betroffen.
"Es ist Wahnsinn, dass so etwas gekürzt wird", sagt Kurzhals. "Diese Maßnahmen waren passgenau und sehr erfolgreich, weil sie genau auf die Bedürfnisse dieser ganz bestimmten Zielgruppe eingehen." Mit den üblichen Maßnahmen der Jobcenter blieben diese Jugendlichen "endlos in einer Schleife und kommen da niemals heraus". Für den nächsten Durchgang des Programms standen mehr als 30 Teilnehmer auf der Warteliste. Wenn sich keine neue Geldquelle auftut, werden sie umsonst gewartet haben.
Hoffmann und die anderen Jugendlichen konnten ihrem Leben mit dem Programm eine neue Richtung geben. "Ganz schön traurig" findet der 21-Jährige, dass "Neukölln Aktiv" eingestellt wurde. Ohne das Programm hätte er wohl keinen Abschluss gemacht. "Nach sechs Jahren ist das eine tolle Erfahrung. Endlich hab ich mal wieder einen Erfolg gehabt." Er schreibt Bewerbungen, will Einzelhandelskaufmann werden. Nachts arbeitet er bei der Deutschen Bahn, putzt Züge. Das - so sagt er - hätte er früher nie gemacht. Manchmal arbeite er 50 Stunden in der Woche. "Je mehr Arbeit, desto besser", sagt er und grinst.
Catherine Simon, dpa
Quelle: ntv.de