Muslimbrüder protestieren Zum Boykott aufgerufen
07.04.2008, 15:44 UhrDie ägyptische Regierungspartei und die Muslimbruderschaft erinnern an ein Tanzpaar beim Tango. Die Nationaldemokratische Partei (NDP) von Präsident Husni Mubarak führt. Die Islamisten biegen sich geschmeidig, um den geringen Spielraum, den ihnen die Regierung lässt, geschickt auszunutzen. Doch jetzt ist ihnen die Staatsmacht zu fest auf die Zehen getreten. Nachdem in den vergangenen Wochen Hunderte von Muslimbrüdern festgenommen wurden, Kandidaten von den Wahlkomitees abgewiesen und Gerichtsurteile zugunsten der Bruderschaft ignoriert wurden, rufen die Islamisten nun zum Boykott der Kommunalwahl am Dienstag auf.
Die Nachricht schlug am Montag - wenige Stunden vor Öffnung der Wahllokale - wie eine Bombe ein. Somit haben die Muslimbrüder, die für die NDP schon seit Jahren der gefährlichste Konkurrent sind, immerhin ihr erklärtes Ziel erreicht, die Regierungspartei bloßzustellen. Wie viele Wähler dem Boykottaufruf folgen werden, wird sich aber wohl nur schwer feststellen lassen, denn die Wahlbeteiligung ist in Ägypten traditionell ohnehin sehr niedrig.
Muslimbrüder eine echte Option
Unabhängige ägyptische Beobachter wollen festgestellt haben, dass die Staatsmacht seit einigen Monaten versucht, die Muslimbrüder an den Rand zu drängen, indem sie ihre moderaten Mitglieder drangsaliert und dadurch den radikalen Flügel der Bewegung stärkt.
Denn es sind gerade die gemäßigten Islamisten, die zu den Parlamentssitzungen mit Krawatte erscheinen, die dafür sorgen, dass die Muslimbrüder inzwischen auch aus Sicht vieler bürgerlicher Ägypter wählbar sind. Auch entwickelt sich das gesellschaftliche Klima insgesamt zugunsten der Islamisten-Bewegung. Wurde man früher im Geschäft mit "guten Morgen" begrüßt, so schallt einem jetzt ein frommes "Der "Friede sei mit Euch" entgegen. In den Frauenwaggons der Kairoer U-Bahn sitzen kaum noch Unverschleierte. Männer, die nicht mit den Kollegen zum Mittagsgebet gehen, ernten in manchen Behörden schon unfreundliche Blicke.
Kaufkraft schwindet
Und obwohl am vergangenen Sonntag nur wenige Ägypter dem Aufruf mehrerer linker Gruppierungen zum Generalstreik folgten, nimmt der Unmut der "kleinen Leute" über die politischen Verhältnisse spürbar zu. Ihr größtes Problem ist die sinkende Kaufkraft. Während eines Besuches in Oberägypten musste Ministerpräsident Ahmed Nasif kürzlich einem Arbeiter Rede und Antwort stehen, der ihn fragte, wie er angesichts steigender Preise denn mit seinem Lohn von 300 ägyptischen Pfund (rund 32 Euro) pro Monat eine Familie ernähren solle. Ein Liter Milch kostet inzwischen vier Pfund. Für 20 kleine Brotfladen, die es zum subventionierten Preis von einem Pfund in den staatlichen Bäckereien gibt, muss man oft stundenlang anstehen, weil die Bäcker das billige Mehl unter der Hand verkaufen.
Es sind schon lange nicht mehr nur die Arbeiter, die nicht mehr wissen, wie sie Miete und Lebensmittel bezahlen sollen. Auch Ärzte, Steuerbeamte und Universitätsprofessoren haben in den vergangenen Monaten für höhere Bezüge gekämpft. "Ägyptische Staatsdiener sind entweder korrupt oder haben einen Nebenjob", erklärt ein Kairoer Beamter, der sein Einkommen abends als Taxifahrer aufbessert.
Nicht nur für die Muslimbrüder, sondern auch für die liberalen und linken Regierungsgegner steht diesmal schon vor Öffnung der Wahllokale fest: Das wird kein Frühlingsfest der Demokratie. "Die Wahlfälschung fing schon im Vorfeld an", kritisiert Hussein Abdul Razak, der ehemalige Generalsekretär der linken Tagammu-Partei. Er wirft der NDP vor, sie sei bei diesem Urnengang noch weniger als sonst bereit, Wettbewerb zuzulassen.
Von Anne-Beatrice Clasmann, dpa
Quelle: ntv.de