Die Krone für Medwedew ... ... aber Putin behält das Zepter
01.03.2008, 12:58 UhrDer Doppeladler im russischen Wappen findet Nachahmung an der Staatsspitze. "Zwei Köpfe - eine Macht", lautet das Motto des Kremls zur Präsidentenwahl. Der scheidende Staatschef Wladimir Putin (55) will unter seinem Wunschnachfolger Dmitri Medwedew (42) als Regierungschef weitermachen. Zur Zarenzeit führte Doppelherrschaft ins Chaos. Dazu komme es nicht, versichert Putin. Es zeichnet sich ab, dass er Medwedew nach dessen erwartetem Wahlsieg die Krone reicht und selbst das Zepter zum Regieren behält.
In einer Fernsehansprache rief Putin am Freitag die Bürger zu einer regen Wahlbeteiligung auf. "Jeder hat die Möglichkeit, bei der russischen Präsidentenwahl seine eigene, bewusste Entscheidung zu treffen", sagte er in Moskau. Aus den Regionen kamen aber wie schon bei früheren Wahlen Klagen, dass der Staatsapparat die Wähler massiv dränge, ihr Kreuzen an der richtigen Stelle zu machen.
Während in den USA schon die Kandidatenkür Monate vor der Wahl die Menschen in ihren Bann zieht, dämmerte Russland bis zuletzt seinem Wahltermin entgegen. Putin kann daran nichts Schlechtes finden. "Ein Wahlkampf ohne dieses Debattieren (...) bedeutet doch nicht automatisch ein Defizit an Demokratie", behauptet der Noch-Kremlchef im Brustton der Überzeugung. Vielmehr zeige es, "dass die große Mehrheit unserer Bürger den Kurs der letzten Jahre unterstützt."
Wende zur Jugend
Über Jahrzehnte durchzog der Muff der greisen Generalsekretäre den Kreml, die meist nur mit den Füßen voraus Abschied von der Macht nahmen. Die Wende zur Jugend leitete der dynamische Putin ein. Medwedew wiederum wäre der jüngste Staatschef seit Zarenzeiten.
Doch wer ist der Mann, der in Kürze die Verfügungsgewalt über 17 Millionen Quadratkilometer Landmasse, tausende Atomsprengköpfe und einen beachtlichen Teil der weltweiten Öl- und Gasvorkommen haben wird? Im Wahlkampf, der nach offizieller Darstellung keiner ist, weil sich der Kandidat bis zuletzt um seine Regierungspflichten kümmern soll, wirkt Medwedew wie der kleine Bruder Putins. 13 Jahre jünger, auch relativ klein und mit anfangs ähnlich linkischen Bewegungen, mit denen der unerfahrene Putin 2000 seinen Platz an der Spitze einnahm.
In seinen Reden präsentiert sich Medwedew als weltoffener, liberaler Polit-Manager, der selbst das den Russen bislang suspekte Thema Klimawandel anpacken will. Das Bild des modernen Politikers trüge aber, warnen Kritiker. Der frühere Chef der Präsidialverwaltung sei mitverantwortlich für die autoritäre Wende der letzten Jahre. "Wie tief muss unsere Politik vom Geheimdienst unterwandert sein, wenn man jeden beliebigen, der keine Vergangenheit als Agent hat, automatisch als Liberalen einstuft", sagt der frühere Vize- Energieminister Wladimir Milow.
"Ich vertraue ihm"
Die Frage bleibt, wieso sich der von vielen Petersburger Weggefährten umgebene Putin ausgerechnet für Medwedew entschied. "Weil ich ihm einfach vertraue", begründet Putin seine Entscheidung für den langjährigen Vertrauten, der die meisten Wähler blindlings folgen dürften.
Spannend wird, wie sich Medwedew gegen die "Falken" im Kreml behauptet. Der Mann ohne Agentenkarriere dürfte den Geheimdienstlern ein Dorn im Auge sein. Medwedews Ankündigung vom Kampf gegen Korruption und "Rechtsnihilismus" klingt wie eine Kriegserklärung, zumal die Geheimen einen großen Teil der Wirtschaft kontrollieren.
Die Neider im Kreml muss Medwedew mehr fürchten als seine Konkurrenten am 2. März. Der Kommunistenchef Gennadi Sjuganow und der Nationalpopulist Wladimir Schirinowski gelten als handzahme Opposition. Putins Lob für beide Politiker ("aufrechte Patrioten") schärft nicht unbedingt deren Profil als Kremlgegner. Andrej Bogdanow, Chef einer Splitterpartei, komplementiert als dritter Zählkandidat das Bewerberquartett. Die wirklich unbequemen Kandidaten ließen die Behörden allesamt schon an der Registrierung scheitern.
Ein regulärer Machtwechsel, bei dem der alte Staatschef bei Gesundheit und unter Wahrung der Fristen abtritt, hat im Kreml keine Tradition. Hoch verschuldet und zutiefst verunsichert war Russland, als Putin vor acht Jahren im Kreml antrat. Wenn er nun seinen Platz räumt, ist die Macht zentralisiert und die Auslandsschuld beglichen - zudem strotzt das Land vor Selbstvertrauen. Putin geht, um in Wirklichkeit zu bleiben.
Präsident als Machtzentrum
Die angekündigte reibungslose Machtaufteilung mit Medwedew weckt allerdings Zweifel. Die Politologin Lilia Schewzowa glaubt, dass es im Kremlgetriebe zu knirschen beginnt, sobald beide Politiker ihre Teams aufstellen. "Dann gibt es Kampf um die Finanzen, den Staatsapparat und um das Prestige", prognostiziert die Expertin vom Moskauer Carnegie-Zentrum. Medwedew kündigte bereits an, dass es auch zukünftig nur ein Machtzentrum geben werde - den Präsidenten.
Obwohl die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) aus Protest gegen Restriktionen ihre Beobachtermission abgesagt hat, kann der Westen mit dem neuen Duo gut leben. Selbst im Bundeskanzleramt herrschte noch vor einigen Monaten die Sorge, dass der Neue dem nationalistischen Kurs Putins noch eins draufsetzt, um sich als rechter Nachfolger zu erweisen.
Auch nach seinem Amtsende am 7. Mai will Putin die Richtung seines Landes weiter vorgeben. Er - und nicht Medwedew - verkündete die Strategie für Russland bis 2020. Russlands Humoristen haben sich auf das Duo eingeschossen. Ein Witz geht so: Putin und Medwedew im Restaurant. Putin zum Kellner: "Ich nehme Steak." Der Kellner: "Und die Beilage?" Putin mit Blick auf Medwedew: "Die nimmt auch Steak."
Von Stefan Voß, dpa
Quelle: ntv.de