Kritik an FDP-Vorschlag "Pauschale führt zu neuen Ghettos"
28.05.2010, 11:23 UhrDer Paritätische Wohlfahrtsverband hat die Forderung der FDP nach Einsparungen bei Hartz-IV-Empfängern scharf zurückgewiesen. Bei "359 Euro plus Wohnkosten" gebe es keinen Spielraum, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Ulrich Schneider. Hartz-IV-Empfänger seien "froh, wenn sie es bis zum 20. eines Monats schaffen".

Ulrich Schneider ist Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.
(Foto: Der Paritätische Gesamtverband)
n-tv.de: Was halten Sie von dem FDP-Vorschlag einer Mietpauschale?
Ulrich Schneider: Der FDP-Vorschlag würde zur Ghettoisierung von Hartz-IV-Beziehern führen. Damit wird ein Anreiz geschaffen, dass die Leute in die billigsten Wohnungen ziehen. Wir kommen hier in eine Situation, wo man arme Menschen dazu verleiten will, in Renovierungsgebiete zu ziehen. Die Konsequenz dieses Vorschlags wären neue soziale Brennpunkte. Aber dieser Vorschlag wird nicht umgesetzt werden können.
Warum nicht?
Weil er aus einer Zeit vor dem 9. Februar stammt. An diesem Tag hat das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zu den Regelsätzen verkündet und festgestellt, dass besonderem, wiederkehrendem Bedarf auf Einzelantrag hin immer wieder entsprochen werden muss. Die Folge einer Mietpauschale wäre eine Flut von Anträgen, denn im Existenzbereich der Wohnung gibt es unzweifelhaft häufig besonderen, wiederkehrenden Bedarf - da reicht der Nachweis, dass eine billigere Wohnung nicht zumutbar ist, etwa wenn eine Alleinerziehende die Kinder aus der Schule nehmen oder Betreuungsmöglichkeiten aufgeben müsste oder wenn jemand seine in der Nähe wohnenden Eltern pflegt.
Damit wäre der ganze Vorschlag hinfällig.
Wenn die FDP sich mit dem Urteil schon einmal auseinandergesetzt hat, müsste sie das wissen. Ich finde es schon erstaunlich, dass man nach diesem Urteil überhaupt noch auf die Idee kommen kann, bei Hartz IV etwas einzusparen. Das zeigt nur, dass einige Politiker völlig reflexhaft immer auf diejenigen schielen, die sich am wenigsten wehren können. Das ist politisch wohl das Einfachste, aber sicher nicht das Gerechteste.
Aber irgendwo muss ja gespart werden...
Brauchen Sie Vorschläge?
Haben Sie welche, was Hartz-IV-Empfänger angeht?
Da können wir beim besten Willen nicht sparen. Mir fällt vieles ein, wo wir sparen können. Ich kann mir vorstellen, dass man die Steuervergünstigungen für Hoteliers wieder streicht, ich kann mir vorstellen, dass Börsengeschäfte endlich umsatzsteuerpflichtig werden. Aber bei Hartz-IV-Empfängern, deren Regelsätze so eng bemessen sind, dass sie in Armut leben, haben wir schlicht keine Luft zu streichen, ganz im Gegenteil. Die Politik wäre gut beraten, sich jetzt offenen Auges mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auseinanderzusetzen. Wir werden um höhere Leistungen für Kinder bei Hartz IV nicht herumkommen. Das muss in der mittelfristigen Finanzplanung berücksichtigt werden.
Der Städte- und Gemeindebund ist ganz angetan von dem Vorschlag der FDP und sieht ein Einsparpotenzial von einem dreistelligen Millionenbetrag.
Der Städte- und Gemeindebund greift mittlerweile nach jedem Strohhalm. Ich kann das verstehen, die Kommunen bluten finanziell aus. Aber mit diesem Vorschlag werden keine Einsparungen zu realisieren sein.
Aber wäre es nicht doch richtig, Hartz-IV-Empfängern mehr Verantwortung zu geben? Wäre eine Pauschale nicht in dieser Hinsicht ein Fortschritt?
Bei 359 Euro plus Wohnkosten ist das völlig unrealistisch. Da gibt es keinen Spielraum. Hartz-IV-Empfänger sind froh, wenn sie es bis zum 20. eines Monats schaffen. Die letzten zehn Tage müssen viele sehen, wie sie irgendwie über die Runden kommen. Deswegen würde ja der Sog entstehen: Die Leute würden möglichst billige Wohnungen suchen, um ein paar Euro zusätzlich zu haben. Dann hätten wir eine Ghettoisierung.
Mit Ulrich Schneider sprach Solveig Bach
Quelle: ntv.de