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Der kommende Kanzler und Corona Ab jetzt ist es Olaf Scholz' Krise

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Kann sich hinter niemanden mehr verstecken: Olaf Scholz.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Mit der Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes durch den Bundesrat hat die kommende Ampelregierung die Federführung bei der Pandemie-Bekämpfung übernommen. Der Bundeskanzler in spe, Olaf Scholz, steht damit in der Verantwortung für die bislang schlimmste aller Corona-Wellen.

Jeden Tag Hunderte Corona-Tote, vielleicht auch Tausend und mehr; erstmalig die Anwendung der Triage, weil nicht mehr jede und jeder Schwerkranke intensivmedizinisch betreutet werden kann; hinzukommen vermeidbare Tote und Langzeitfolgen, weil verunfallte oder anderweitig erkrankte Menschen nicht schnell und umfassend versorgt werden konnten: Wenn sich die düsteren Prognosen vieler Experten bewahrheiten, stehen Deutschland die schlimmsten Wochen der Pandemie erst noch bevor. Und das, obwohl die meisten Bürgerinnen und Bürger dachten, mit dem massenhaften Durchimpfen liege zu diesem Zeitpunkt das Schlimmste schon hinter uns und die gewohnten Freiheiten wären dauerhaft zurück.

Zu diesen Bürgern zählt auch Olaf Scholz. Der voraussichtlich nächste Bundeskanzler warb zwar den ganzen Wahlkampfsommer über fürs Impfen, hat aber auch nicht mehr Alarm geschlagen als jeder andere Politiker der in Bund und Ländern regierenden Parteien. Dennoch ist es ab sofort Scholz' Corona-Krise. Mit der heutigen Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes durch den Bundesrat wird die Krise nach den Vorstellungen der künftigen Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP gehandhabt. Dass es die scheidende Kanzlerin Angela Merkel anders gemacht und die epidemische Lage verlängert hätte, hat sie am Donnerstag wiederholt deutlich gemacht. Ob dieser Weg sinnvoller gewesen wäre als der Plan der Ampel, ist unerheblich. Von nun an ist Scholz am Zug, auch wenn er formal noch nicht im Amt ist. Ob Deutschland die Infektionsdynamik gebremst bekommt, liegt maßgeblich in seiner Verantwortung.

Scholz zeigt sich gelassen

Gemessen an dieser schweren Last war am Donnerstagabend ein erstaunlich gelöster Scholz zu erleben. Er war sichtbar zufrieden, dass eine Blockade des Infektionsschutzgesetzes durch die unionsregierten Bundesländer im Bundesrat vermieden werden konnte. Das Versprechen, am 9. Dezember noch einmal mit den Ländern die Wirkung der beschlossenen Maßnahmen zu evaluieren, hat einen Konflikt zwischen der neuen Bundesregierung und den Landesregierungen von CDU und CSU noch vor Beginn der Ampelkoalition verhindert. Das ist aus Scholz' Sicht tatsächlich erfreulich. Zudem ist ihm Alarmismus und Panik fremd. Der Sozialdemokrat ist kein Freund schriller Töne und manch einer mag diesem stoischen Pragmatismus gerade in Krisenzeiten etwas abgewinnen. Bei Merkel hat sich diese Herangehensweise ja auch meist bewährt.

Das Problem der leisen Töne ist aber, dass sie im schlechtesten Fall nicht gehört werden. Und das könnte für Scholz zum Problem werden. In ihren stärksten Pandemie-Momenten war es die Bundeskanzlerin, die furchterregende Wahrheiten zur Corona-Lage ausgesprochen und unpopuläre Maßnahmen eingefordert hat. Die Länder konnten dann mitziehen und mit dem Finger nach Berlin zeigen, wenn hernach die Regierten moserten. Wenn aber der Bund nicht vorangeht, zögern auch die Länder. So muss man auch die Forderung der CDU- und CSU-geführten Regierungen von Sachsen und Bayern verstehen, die mehr Möglichkeiten forderten, als sie die bestehenden noch gar nicht ausgeschöpft hatten. Lockdowns in Bayern zu verhängen, ist leichter durchsetzbar, wenn es bei gleicher Lage alle Länder tun müssen.

Noch einmal können sich Ampelspitzen nicht verstecken

Dieses Wegducken der Länder, dieses seit Pandemie-Beginn anhaltende Verantwortungs-Limbo zwischen Bund und Ländern, mag man beklagen. Naturgemäß wollen die 16 Staatskanzleien vor allem das Angenehme für sich verbuchen und alles Negative nach Berlin abschieben. Die Bundespolitik spielt das gleiche Spiel gerne mit Brüssel. Aber es hilft ja nichts: Wenn die Lage ernst ist, braucht es jemanden, der es ausspricht.

Wenn die Ansteckungszahlen trotz der nun getroffenen Maßnahmen nicht rasch sinken, ist es an Scholz, die neue Marschroute für alle vorzugeben. Dann können sich die Ampelspitzen nicht mehr hinter ihren Fachpolitikern verstecken wie beim Verfassen des Infektionsschutzgesetzes. Womöglich ist es schon beim nächsten Bund-Länder-Gipfel in drei Wochen soweit. Dann muss Scholz kanzlern, ob schon im Amt oder nicht.

Quelle: ntv.de

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