Zwischenruf Alles wird anders?
08.09.2008, 18:31 UhrAlles wird anders, sagt SPD-Vizechefin Andrea Nahles im n-tv Interview. Woher sie ihren Optimismus nimmt, bleibt unklar. Denn mit dem Revirement an der Spitze der Sozialdemokraten ist die innerparteiliche Auseinandersetzung nicht beendet. Jetzt fängt alles erst richtig an. Oder besser: Alles geht wieder von vorn los. Die älteste Partei Deutschlands befindet sich wieder einmal da, wo sie spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts immer wieder gestanden hatte: am Scheideweg. Nach Bebel und dem alten Liebknecht lautete die Frage stets: Wie groß die Zugeständnisse an die Herrschenden, wie groß das Eintreten für die Belange der Beherrschten? Der Spagat gelang stets dann, wenn die ökonomische Lage gut war.
Als die Sozialdemokraten vor zehn Jahren mit den Grünen die Regierungsgeschäfte übernahmen, stand's nicht schlecht um die Wirtschaft. Erste Maßnahmen korrigierten arbeitnehmerunfreundliche Maßnahmen von Union und Liberalen unter Helmut Kohl. So die Einschränkungen bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und die Beschränkung der Leistungen beim Zahnersatz für nach 1987 Geborene. Doch fehlte eine Konzeption. Unter Gerhard Schröder passte sich die SPD-Spitze unter vermeintlichem Globalisierungszwang immer mehr an die vorherrschenden neoliberalen Strategien an. Insofern vollzog sich ein Paradigmenwechsel. Spürbare soziale Einschnitte gab es nun erstmals auch unter den Bedingungen einer florierenden Konjunktur.
Als durch die „Riester-Rente“ die Altersversorgung teilprivatisiert wurde, brach die deutsche Sozialdemokratie mit der weit über hundertjährigen Politik der gesetzlichen Rente. Diese war 1889 auf Drängen Bismarcks eingeführt worden, um dem wachsenden Einfluss der SPD zu begegnen. Von da an war es nur ein kleiner Schritt bis zu den Hartz-„Reformen“ mit ihren einschneidenden sozialen Auswirkungen. Die Folge: eine verlorene Bundestagswahl 2005, nachdem es Rot-Grün drei Jahre zuvor gerade noch so mit Ach und Krach geschafft hatte. Und dies auch nur, weil die Bundesregierung eine direkte Beteiligung am Irakkrieg ablehnte.
Seit 1990 hat die SPD 40 Prozent ihrer Mitglieder verloren. Der Hauptanteil entfällt auf die Jahre nach 1998. Seither kehrten mehr als 200.000 Sozialdemokraten ihrer Partei den Rücken. In der Wählergunst liegt sie der jüngsten Forsa-Umfrage im Auftrag von n-tv zufolge bei 21 Prozent. Im September 1998 waren es noch 42 v. H.
Frank-Walter Steinmeier und Franz Müntefering sind zwei der Hauptverantwortlichen für diese Entwicklung. Sollte der eine als Kanzlerkandidat, der andere als Parteivorsitzender so weitermachen wie bis bisher, ist ein fortgesetzter Einbruch programmiert. Die Frage ist nicht, ob die SPD mit der Union, der FDP, den Grünen oder der LINKEN kooperiert. Parteien definieren sich in erster Linie nicht über Allianzen, sondern über die eigene Programmatik, die eigene Politik. Die SPD muss um den Preis ihres Überlebens zu ihren sozialdemokratischen Wurzeln zurückfinden. Dazu müsste sie nicht zuletzt auch wissen, wo sie heute eigentlich steht. Wie groß die Konfusion ist, wird deutlich, wenn Müntefering seine SPD auf der Pressekonferenz am Montag in einem Atemzug der Linken und der Mitte zuordnet. Die Zeit und die Umstände drängen. Sonst wird es nichts mit dem Anderswerden.
Quelle: ntv.de