Zwischenruf Anmarsch der "Antimerkelisten"
03.02.2009, 15:56 Uhr"Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung", heißt es im Artikel 65 des Grundgesetzes. Nach dem Veto der bayerischen Landesregierung gegen das Umweltgesetzbuch von SPD-Minister Sigmar Gabriel scheint die Zuständigkeit für die Richtlinien an deren Chef Horst Seehofer übergegangen zu sein. Die Verantwortung bleibt bei der Bundeskanzlerin, die mit dem Nein aus München wieder einmal in die Ecke gedrängt wurde. Dies war schon bei der Pendlerpauschale und bei der Steuersenkung so. Die CSU leidet unter einer Profilneurose, die sie – gleich auf wessen Kosten – kurieren will. Der Königsweg dabei ist ganz offensichtlich das politische Berlin. Unerheblich, ob dabei die Schwesterpartei oder der sozialdemokratische Koalitionspartner Schaden nimmt. Wenn nun die CSU mit der Forderung ihres Generalsekretärs Karl-Theodor zu Guttenberg durchkommt, die Angelegenheit noch einmal im Koalitionsausschuss zu behandeln, dann muss Frau Merkel den Offenbarungseid leisten.
Crashkurs der CSU
Gebracht hat der Crashkurs der CSU bislang nicht viel: Im Vergleich zu den Landtagswahlen vom September vergangenen Jahres hat die Partei bei Umfragen nur um etwas mehr als einen Prozentpunkt hinzugewonnen. Der Union insgesamt aber hat’s geschadet: CDU/CSU sind seit Mitte Dezember von 38 auf 35 Prozent abgerutscht.
Für die Ablehnung des Umweltgesetzbuches gibt es keinen sachlichen Grund. Das Argument von Wadenbeißer Markus Söder, dies würde mehr Bürokratie und mithin mehr Kosten bedeuten, wird sogar von seiner CDU-Umweltministerkollegin Tanja Gönner aus Baden-Württemberg zurückgewiesen. Mehr als 27 Milliarden Euro könnten durch die Anwendung des Gesetzes eingespart werden. Angela Merkel hatte das vom damaligen Bundesumweltminister Klaus Töpfer initiierte Projekt gefördert, nun schweigt sie. Ihr Image als Vorkämpferin des Klimaschutzes hat tiefe Kratzer bekommen. Ein weiterer Auftritt vor schmelzenden Eisbergen würde zur Farce geraten. Richtig ist zunächst der Vorwurf von CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla, die SPD hätte in der Zeit von Rot-Grün längst ein Umweltgesetzbuch verabschieden können. Aber hätten im Bundesrat die unionsgeführten Länder mitgespielt?
Mit dem Umweltgesetzbuch ist nicht nur eines der wichtigsten Vorhaben des Koalitionsvertrages gescheitert. Die Bundesregierung hätte eigene Akzente setzen können, so bleibt ihr nur ein – wie im Falle der Finanzkrise –zunehmend hilfloses Reagieren. Offensichtlich ist geworden, dass die Bundeskanzlerin um des lieben Friedens Willen vor Seehofer zurückweicht. Der weiß, dass Angela Merkel nicht anders kann, will sie nicht die Chance auf einen bundesweiten Wahlsieg im September verspielen. Umso mehr, als im Hintergrund auch die christdemokratischen Antimerkelisten wieder Morgenluft wittern.
Der Flop des Gesetzbuches gibt den Bürgerinnen und Bürgern auch einen Vorgeschmack auf das, was uns bis zum Wahltag erwartet: Ein parteipolitisches Hickhack, das gerade in Krisenzeiten alles andere als Vertrauen schafft. Und die endgütige Gewissheit, dass Große Koalitionen nicht zu großen Schritten fähig sind.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de