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Endet die Solidarität im Netz? Auch Oma muss zahlen

(Foto: picture alliance / dpa)

Das Prinzip müsste jeder verstehen: Im Internet sind alle gleich. Doch die Kommission des Bundestags ist ein Zirkus, der mit Stimmen der schwarz-gelben Regierung eine wissenschaftliche Einschätzung verhindert. Die Transparenz der Manege setzt die Beteiligten offenbar unter Druck - und macht Großmutter gegenüber dem eigenen Enkel zum Geizhals.

Hubertus Gersdorf hatte bei der Sitzung der Internet-Enquete-Kommission des Bundestages ein schlagendes Argument. Die Großmutter soll nicht das Surfvergnügen des Enkels bezahlen, der im Internet Videostreams guckt. Die Ableitung aus der Aussage des FDP-Politikers wäre: das Prinzip der Gleichbehandlung im World Wide Web ist ungerecht. Die CDU betrieb derweil Werbung für taktische statt entscheidende Politik und boxte über ihre Regierungsmehrheit die Ablehnung externer Gutachten zum Thema durch. Und das, wie CDU-Mann Jens Koeppen zugab, weil ihr der Inhalt der eingereichten Exposés nicht passte.

Eigentlich soll das Gremium Handlungsempfehlungen für den Bundestag verabschieden, zu "Internet und Digitale Gesellschaft", für gesetzliche Rahmenbedingungen im Netz. Die schwarz-gelbe Koalition ist sich offenbar der politischen Tragweite der Kommissionsentscheidungen bewusst. So endete die Sitzung zur Netzneutralität in einem Patt, 17 zu 17 Stimmen, es kam keine Empfehlung für die Festschreibung der Gleichbehandlung aller Nutzer zustande. Auch, weil erneut ein parteiloser, von der FDP berufener Datenschützer wie schon vor der Sommerpause mit der Opposition stimmte.

Solidarität ist Stärke

Der Begriff der "Netzneutralität", der Gleichbehandlung aller, erschließt sich nicht sofort. Er ist schwierig zu vermitteln an Menschen, die das Internet nicht täglich nutzen. Das World Wide Web ist ein Medium, Daten fließen durch Leitungen wie Strom durch Kabel. Niemand würde auf die Idee kommen und Kunden, die mehr zahlen, das Brennen ihrer Glühlampe oder den Betrieb der Heizung zu garantieren, während bei finanziell schlechter gestellten Betrieben einfach mal der Computer während der Arbeit plötzlich abgeschaltet wird - weil er weniger Geld an seinen Anbieter überweist und deshalb dessen Stromlieferung eine niedrigere Priorität hat. Trotzdem fordern Unternehmen wie die Telekom genau das. Wer weniger bezahlt, bekommt auch weniger? Nein. Das Internet sollte solidarisch sein, wie eine Sozialversicherung.

Keine Gleichbehandlung? Nicht wundern, wenn das Netz ausgeht.

Keine Gleichbehandlung? Nicht wundern, wenn das Netz ausgeht.

(Foto: picture alliance / dpa)

Wenn die Großmutter nicht für den Videostream ihres Enkels zahlen will, warum sollte der Enkel später ihre Rente zahlen? Oder Beiträge für die Krankenversicherung leisten, die gemessen an den Kosten für dessen Behandlungen exorbitant hoch sind? Diese Fragen sind gesellschaftlich verwerflich, sogar zynisch. Das Prinzip des Stärkeren, der dem Schwächeren hilft, es ist online nicht außer Kraft gesetzt. Viel mehr noch, diese Solidarität bedeutet Stärke.

Natürlich, es gibt Datenverkehr, der lebenswichtig ist, im wahrsten Sinne des Wortes, wie etwa bestimmter wissenschaftlicher Einrichtungen. Doch sogar diese sind längst über ein Forschungsnetz, das sogenannte "Internet2", miteinander verbunden und liegen damit abseits der öffentlichen Datenautobahnen. Die sind mitnichten ausgelastet, wie Unternehmen als Grund für ihre Forderungen für Ungleichheit im World Wide Web immer wieder behaupten. In Spitzenzeiten liegt die Auslastung an Deutschlands wichtigstem Knotenpunkt bei einem Zehntel der verfügbaren Kapazität, wie der Blogger Peter Piksa nachvollziehbar dargelegt hat.

Zirkus statt Arbeit

Hinter den Kulissen der Enquete-Kommission, in den Arbeitsgruppen zu den zwölf Bereichen wie Datenschutz, Urheberrecht oder eben der angesprochenen Netzneutralität, ist die Zusammenarbeit von Politikern und externen Experten nach Aussage verschiedener Teilnehmer zwar konstruktiv. Doch sie findet hinter geschlossenen Türen statt. Im Gegensatz zu den online übertragenen Sitzungen, wo Beschlüsse gefasst werden sollen. Es ist wohl die Öffentlichkeit, die von der Piratenpartei so häufig geforderte Transparenz, die der Enquete das Genick zu brechen droht. Nach eineinhalb der angepeilten zwei Jahre hat die Enquete nicht mehr als vier Empfehlungen beschließen können.

Und so wird jedes Thema zum Grabenkampf mit der Opposition. Die Regierungsparteien fühlen sich offenbar beäugt, wollen ihr Gesicht nicht verlieren. Im Plenum des Bundestages ist das verständlich, aber nicht in einer Enquete-Kommission. Die soll, so die Definition, Gesetzgebung vorbereiten. Wünschenswert wäre, dass dies ohne Druck, ohne Fraktionszwang geschieht – und das Gremium keinen parteipolitischen Zirkus veranstaltet. Die Arbeit der Teilnehmer sollte vielmehr den Abgeordneten die Last von den Schultern nehmen, sich unter hohem Zeitdruck selbst und eventuell unzureichend für eine fundierte Meinungsbildung mit komplexen Themen beschäftigen zu müssen.

Im Fall der Netzneutralität wäre das wohl sogar überflüssig gewesen. Denn der Grundsatz sollte lauten: menschliche Interessen über die der Unternehmen. Und damit Netzneutralität über ein ungerechtes World Wide Web.

Quelle: ntv.de

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